Wer sich stets korrekt verhält, soll nicht für die Fehler anderer geradestehen müssen.
Das war dicke Post
«Wer Leistungen in gutem Glauben empfangen hat, muss sie nicht zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt.» (Gesetzestext)
«Im Zuge einer allgemeinen Anspruchsüberprüfung haben wir festgestellt, dass Sie nie einen Anspruch auf Familienzulagen für Nichterwerbstätige gehabt haben. Wir informieren Sie deshalb, dass die Auszahlungen der Familienzulagen per sofort eingestellt wurden und stellen Ihnen hiermit Rechnung für die zu Unrecht bezogenen Leistungen für den Zeitraum von 2009– 2013. Mit freundlichen Grüssen, Ihre kantonale Sozialversicherungsanstalt.»
Herr B*, Familienvater und SEV-Mitglied traute seinen Augen nicht, als er diese Zeilen las. Die böse Überraschung war perfekt, als ein Einzahlungsschein über CHF 37 000.–, der dem nüchternen Schreiben mit dem Vermerk «zahlbar innert 30 Tagen» beigelegt war, zum Vorschein kam.
In seiner Ratlosigkeit wandte sich Herr B, der aufgrund einer seltenen Krankheit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann, an seine Gewerkschaft. Der SEV-Berufsrechtsschutz überprüfte daraufhin die Verfügung der Sozialversicherungsanstalt und kam zum Ergebnis, dass Herr B im fraglichen Zeitraum aufgrund seines steuerbaren Einkommens tatsächlich keinen Anspruch auf Familienzulagen für Nichterwerbstätige gehabt hätte. Da Herr B aber jederzeit alle für die Berechnung seines Anspruchs erforderlichen Angaben offenlegte, durfte er in gutem Glauben davon ausgehen, dass die Sozialversicherungsanstalt in Kenntnis aller wesentlichen Informationen seinen Anspruch richtig berechnet. Es sei nicht ersichtlich und widerspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben, wenn Herr B nun für die Fehler der Sozialversicherungsanstalt zur Kasse gebeten werde.
Einsprache vorerst erfolglos
In der fristgerecht erhobenen Einsprache wehrte sich Herr B erfolglos gegen die Forderungen. Im Einspracheentscheid hielt die Sozialversicherungsanstalt fest, dass sie nach wie vor auf der Rückerstattung der zu Unrecht ausbezahlten Familienzulagen bestehe, da das steuerbare Einkommen des Versicherten über dem zulässigen Grenzbetrag gelegen habe.
Gegen Treu und Glauben
Beschwerde bei der Sozialversicherungsabteilung des Kantonsgerichts mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid der Sozialversicherungsanstalt sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Rückforderung erloschen sei. Die Beschwerdeschrift stütze sich auf Art. 25 Abs. 2 des allgemeinen Teils des Sozialversicherungsgesetzes, der den Grundsatz von Treu und Glauben im Sozialversicherungsrecht im Hinblick auf die Rückforderung zu Unrecht ausgerichteter Leistungen konkretisiert:
«Der Rückforderungsanspruch [des Leistungserbringers] erlischt mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Jahren nach der Entrichtung der einzelnen Leistung.»
Nach einem kurzen Schriftenwechsel, bei dem die Parteien im Wesentlichen an ihren Standpunkten festhielten, und nach Durchsicht aller entscheidrelevanten Akten eröffnete das Kantonsgericht den Parteien das Urteil. Es bestätigte, dass Herr B tatsächlich keinen Anspruch auf die Familienzulagen gehabt hatte und die Auszahlungen demnach zu Unrecht erfolgten; was im Übrigen von den Parteien unbestritten blieb. Herr B sei damit unrechtmässig bereichert und grundsätzlich zur Rückerstattung sämtlicher Leistungen verpflichtet. Es bleibe jedoch zu prüfen, ob die Sozialversicherungsanstalt im Besitz aller relevanten Informationen war und demnach in der Lage gewesen wäre, den Anspruch von Herr B auf Familienzulagen umfassend abzuklären. Dabei sei auf jenen Zeitpunkt abzustellen, in welchem die Verwaltung bei der ihr zumutbaren Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen, dass die Voraussetzungen für eine Rückerstattung bestehe.
Die Wende zum Guten
Aus den Akten, die dem Gericht vorliegen, ergebe sich unmissverständlich, dass die Sozialversicherung nicht nur um die Fehlerhaftigkeit der ausgerichteten Familienzulagen hätte wissen müssen, sondern ihr bereits Mitte Juli 2011 alle für eine Rückforderung massgebenden Umstände tatsächlich bewusst waren. Dies gehe aus einer internen Notiz von Mitte Juli 2011 hervor, die unmissverständlich festhält, dass anlässlich einer Routinekontrolle erkannt worden sei, dass Herr B aufgrund seines steuerbaren Einkommens gar nie Anspruch auf Familienzulagen gehabt hätte. Damit sei zweifellos erstellt, dass die Sozialversicherung zu diesem Zeitpunkt detailliert über alle Umstände informiert gewesen sei. Nichtsdestoweniger habe sie während mehr als zwei Jahren keine Rückforderung verfügt und Herrn B weiterhin Familienzulagen ausbezahlt. Diese Säumnis dürfe sich jedoch nicht zu Ungunsten des Versicherten auswirken, der seiner Informationspflicht jederzeit nachgekommen sei. Der Anspruch auf Rückerstattung der zu Unrecht ausgerichteten Familienzulagen sei deshalb grösstenteils erloschen, weshalb Herr B von den geltend gemachten 37 000 Franken nur deren 6000 rückerstatten müsse.
Der Fehler lag anderswo
Das Urteil des Kantonsgerichts – das im Übrigen unangefochten blieb und zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsen ist – bestätigte Herrn B in seinem Wissen, dass er nichts Unrechtes getan hatte. Wer sich stets korrekt verhält, soll nicht für die Fehler anderer geradestehen müssen.