Wenn die Polizei den Hergang eines Verkehrsunfalls als unklar taxiert, obwohl man als Beteiligter überzeugt ist, dass einen daran keine Schuld trifft, empfiehlt sich der Beizug professioneller rechtlicher Hilfe, da sich die Behörden auch mal irren können.
Aussage gegen Aussage nach dem Knall
Ein pensionierter Kollege, der nach eigener Meinung unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt wurde, musste die Erfahrung machen, dass die Polizei willkürlich den Standpunkt des andern Fahrzeugführers übernahm.
Franz (Name geändert) schildert dem Rechtsschutzteam SEV in seinem Rechtsschutzgesuch, wie er im Rahmen eines kleinen Teilzeitjobs mit dem Lieferwagen verunfallte: Als er auf einer Landstrasse nach links abbiegen wollte, knallte ein BMW-Fahrer, der ihn offenbar überholen wollte, mit hoher Geschwindigkeit seitlich in seinen Lieferwagen. Franz hatte Glück im Unglück und wurde nur leicht verletzt, der BMW-Fahrer mittelschwer, die beiden Fahrzeuge erlitten Totalschaden. Obwohl sich Franz beim Abbiegen nach eigener Meinung korrekt verhielt, steht in der Medienmitteilung der Polizei, die er seinem Rechtsschutzgesuch beigelegt hat, dass der Unfallhergang nicht ganz klar sei und noch Zeugen gesucht würden.
Um Franz optimal zu unterstützen, teilt ihm das SEV-Rechtsschutzteam einen Vertrauensanwalt zu, der auch auf Strassenverkehrsfälle spezialisiert ist. Der Anwalt verlangt bei der Polizei umgehend Akteneinsicht.
Die Polizei glaubt dem Falschen
Dem Polizeirapport entnimmt der Anwalt, dass sich die Erstaussagen von Franz und jene des BMW-Fahrers zum Unfallhergang in wichtigen Punkten widersprechen: Franz gab an, er habe den linken Blinker gestellt, die vorgeschriebenen Kon-trollblicke gemacht und sei entsprechend eingespurt. Der BMW-Fahrer sagte aus, Franz habe den rechten Blinker gestellt und sei nach rechts geschwenkt. Obwohl somit Aussage gegen Aussage steht, und sich zudem auf den Polizeifotos der genaue Kollisionspunkt nicht erkennen lässt, übernahm die Polizei die Version des BMW-Fahrers. Der Anwalt kritisiert gegenüber der Staatsanwaltschaft diese willkürliche Einschätzung der Schuldfrage und beantragt die Erstellung eines massstabgetreuen Unfallplans sowie die Untersuchung der Blinkerlampen.
Inzwischen hat Franz noch Post vom Strassenverkehrsamt erhalten: Dieses teilt ihm die Eröffnung und Sistierung (Aussetzung) des Administrativverfahrens für einen allfälligen Führerausweisentzug mit. Als Tatbestand nennt das Amt «Mangelnde Rücksicht auf nachfolgende Fahrzeuge bei der Vornahme einer Richtungsänderung».
Rund fünf Monate nach dem Unfall stellt die Staatsanwaltschaft dem Anwalt den verlangten Unfallplan sowie einige Vergrösserungen der Fotos zu. Die Polizei hält ergänzend fest, dass auch diesen Unterlagen der genaue Kollisionspunkt nicht entnommen werden könne. Diesen Punkt würde allenfalls ein kostenpflichtiges unfalltechnisches Gutachten klären.
SEV-Anwalt bringt die Wahrheit ans Licht
In seiner Stellungnahme macht der Anwalt von Franz geltend, die Fotos würden beweisen, dass sein Mandant im rechten Fahrstreifen links eingespurt sei, zudem könne dem Untersuchungsbericht der Blinkerlampen entnommen werden, dass diese zum Zeitpunkt der Kollision auf der linken Seite geleuchtet haben müssen. Franz habe sich demnach korrekt verhalten und hätte vom nachfolgenden Fahrzeug nicht überholt werden dürfen. Entsprechend stellt der Anwalt Antrag, die Strafuntersuchung gegen Franz sei unter Entschädigung der Anwaltskosten einzustellen.
Rund ein Jahr nach dem Unfall verfügt die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens gegen Franz. In ihrem Entscheid übernimmt sie vollständig die Argumentation des Anwalts. Zudem erwähnt sie, dass der BMW-Fahrer den gegen ihn erlassenen Strafbefehl akzeptiert habe, dies sei ein weiterer Beweis für die Unschuld von Franz. Erstaunlicherweise lehnt es die Staatsanwaltschaft aber ab, die Anwaltskosten zu übernehmen.
Abschliessend stellt der SEV-Anwalt noch die Einstellung des Administrativverfahrens beim Strassenverkehrsamt sicher. Zudem gelangt er an die Haftpflichtversicherung des BMW-alles mit Erfolg.
Rechtsschutzteam SEV
Pensioniert und Berufsrechtsschutz – ein Widerspruch?
Mehrmals im Jahr reichen beim SEV auch Pensionierte oder Hinterbliebene Berufsrechtsschutzgesuche ein. In der Regel geht es dabei um Fragestellungen aus dem Bereich der Sozialversicherungen, insbesondere um Kürzungen oder die vollständige Aufhebung von Renten der Invalidenversicherung (IV). Im hier geschilderten Fall ging es jedoch um den Strassenverkehrsunfall eines Pensionierten, der einem Teilzeitjob nachging.
Auch wenn der Fall nicht alltäg- lich ist, zeigt er doch, dass sich das SEV-Rechtsschutzteam, allen- falls mit Beizug eines Anwalts, regelmässig auch um Anliegen von pensionierten Kolleginnen und Kollegen kümmert.