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Porträt

Männerjob?

Der Arbeitsalltag von Esther Weber ist vielleicht eher ungewöhnlich für eine Frau in der Schweiz. Denn Esther arbeitet in einer nach wie vor stark von Männern geprägten Domäne. Sie ist Lokführerin bei der SBB. Wie hat sie zu diesem Beruf gefunden und wie geht es ihr dabei? Der SEV hat nachgefragt.

Seit acht Jahren fährt Esther Weber Passagiere der SBB durch die Schweiz. «Als Lokführerin stelle ich den Leuten den Zug bereit, damit sie gut in den Tag starten können. Das ist ein sehr schöner Gedanke», freut sich die 43-jährige Baslerin.

Für sie war der Wechsel in den Führerstand genau das Richtige. Die ehemalige Webentwicklerin – auch dies schon ein «Männerberuf» – hatte die Bildschirmarbeit und die klassischen Bürozeiten irgendwann satt. «Die Informatik ist sehr schnelllebig. Du musst immer am Ball bleiben und dich stetig weiterbilden – ich wollte das nicht ewig machen!» Esther wollte auch weg vom Bildschirm und ist eher zufällig zum Lokführerberuf gekommen. Nach einem Infoabend war sie begeistert. «Ich hatte aber grossen Respekt vor den vielen Tests auf dem Weg zu diesem Beruf», gibt sie zu bedenken. Schliesslich hat sie aber alle Hürden gemeistert und ihre Entscheidung nie bereut. «Vorher habe ich öfters die Stelle gewechselt. Seit ich Lokführerin bin, arbeite ich nun im Depot in Basel.»

Keine Probleme als Frau

Esther schwärmt in unserem Gespräch über ihre Arbeit. Doch hat sie als «Minderheit» nie Negatives erlebt? «Ich persönlich habe bisher nie Ablehnung erfahren, aber vielleicht liegt es auch an meiner Einstellung: Wenn jemand ein Problem hat, sehe ich das als sein Problem, nicht als meins! Damit bin ich bisher gut durchgekommen.»

Genauer nachgefragt gibt die Lokführerin zu bedenken, dass ihr der Helpdesk bei einer Störung sicher auch schon Fragen gestellt hat, die er einem Arbeitskollegen wohl kaum gestellt hätte. Ins Lokführerzimmer geht sie indes auch weniger, da sie die Gespräche eher weniger interesssieren. Esther sieht denn auch positive Seiten als Frau in einer Männerdomäne. «Oft sind männliche Kollegen einer Frau gegenüber zuvorkommender und hilfsbereiter.» Auch hat sie schon öfters positive Rückmeldungen von Fahrgästen erhalten, wenn sie an einem grossen Bahnhof aus der Führerkabine stieg. Eine Frau am Steuer eines Zuges fällt also nach wie vor auf.

Wieso ein Männerberuf?

Der Lokführerberuf wird auch heute noch vorwiegend von Männern ausgeübt. «Früher war der Job viel mechanischer und körperlicher, es brauchte mehr Kraft als Lokführer. Das ist heute zwar anders, aber sitzt wohl noch tief in den Köpfen», wagt Esther einen Erklärungsversuch.

Gefragt sind heute vielmehr auch softe Faktoren wie Feingefühl, Gelassenheit und Konzentration. Eigenschaften, die nicht selten eher den Frauen zugeteilt werden.

Ist man als Frau ein besserer Lokführer? «Viele meinen, dass Frauen viel sanfter fahren können, weniger abrupt bremsen und insgesamt ruhiger sind. Ich würde das aber nicht unbedingt dem Geschlecht zuordnen, sondern eher dem Charakter einer Person», winkt sie ab. Nichtsdestotrotz sind weibliche Lokführerinnen massiv in Unterzahl.

Esther sieht neben dem veralteten Bild von dieser Arbeit auch die Schichtarbeit als grosses Problem. «Ich liebe das unregelmässige Arbeiten. Aber für Mütter, die auch heute noch die Mehrheit der Erziehungs- und Hausarbeit leisten, ist es eine grosse Herausforderung, die Betreuung zu organisieren», räumt sie ein. Eine Idee der SBB, spezielle Touren für Mütter einzuführen, wurde allerdings gerade von den männlichen Kollegen sehr negativ aufgenommen. Sie befürchteten, dann nur noch die unbeliebteren Touren fahren zu «dürfen».

Zudem hätten auch viele Frauen Angst, zu später Stunde alleine unterwegs zu sein, und sähen darum von diesem Metier ab. «Hier braucht es meiner Meinung nach noch viel Aufklärungsarbeit», gibt Esther zu bedenken. «Denn man lernt in der Ausbildung auch den Umgang mit brenzligen Situationen und ist grundsätzlich nie ganz alleine. Ich kann immer jemanden anrufen, notfalls auch die Transportpolizei.»

Frauenförderung leider nötig

Ich erfahre im Gespräch mit Esther grundsätzlich nur Positives. Trotzdem ist es Fakt, dass noch wenig Frauen diesen Weg einschlagen. Auf europäischer Ebene wird aktuell über Massnahmen verhandelt, um die Arbeit bei der Eisenbahn für Frauen attraktiver zu machen (siehe Kotext unten) und damit Personalengpässen und Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

«Ich finde es schade, dass eine spezielle Frauenförderung nötig ist, damit es normal wird, dass auch Frauen sich in diesem Arbeitsumfeld bewegen», sagt Esther Weber. «Aber die Bestrebungen dazu begrüsse ich natürlich sehr.»

Chantal Fischer

Women in Rail: Verhandlungen reaktiviert

Die Gemeinschaft der europäischen Bahnen und Infrastrukturgesellschaften (CER) und die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) haben am 18. Mai die Verhandlungen auf EU-Ebene über eine verbindliche Vereinbarung zur Förderung der Beschäftigung von Frauen im Bahnsektor wieder aufgenommen.

Der Anteil der Frauen an den Beschäftigten im Bahnsektor beträgt nur 21 % und liegt damit deutlich unter der gesamtwirtschaftlichen Erwerbsquote von Frauen (46 %). Bahnunternehmen und Gewerkschaften sind überzeugt, dass diese Situation geändert werden muss, um den wertvollen Beitrag von Frauen einzubeziehen, die Vielfalt am Arbeitsplatz zu fördern und den Eisenbahnsektor an die Gesellschaft anzupassen, in der seine Kunden leben.

Die Verhandlungen, die im Rahmen des von der Europäischen Kommission unterstützten europäischen sektoralen sozialen Dialogs stattfinden, begannen im Jahr 2019, wurden aber aufgrund der Pandemie auf Eis gelegt.

Beide Parteien bewegen sich nun in die gleiche Richtung und hoffen auf einen konstruktiven Austausch, der noch vor dem Sommer zu einer Einigung führen soll.