Zwei Kommissionen im Bundeshaus werden seit Anfang Jahr von SEV-Gewerkschaftssekretären geführt
«Die effektive Arbeit wird in den Kommissionen geleistet»
Edith Graf-Litscher ist 2018/19 Präsidentin der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF-N),Philipp Hadorn präsidiert in diesem Jahr die Neat-Aufsichtsdelegation (NAD). Was für Auswirkungen hat die Arbeit desSEV-Gewerkschaftssekretärs und der Gewerkschaftssekretärin auf die Verkehrspolitik der Schweiz?
kontakt.sev: Philipp und Edith, zunächst möchte ich euch zur Wahl ins neue Amt gratulieren! Edith, kannst du uns sagen, welche Geschäfte in «deiner» KVF behandelt werden?
Edith Graf: Es handelt sich um eine sehr vielfältige Kommission, die zuständig ist für den Bereich öffentlicher Verkehr, für die SBB, für die KTU, für die Zukunft von SBB Cargo, die wir jetzt gerade diskutiert haben, für die zukünftigen Spielregeln für den regionalen Personenverkehr und den Fernverkehr, aber auch für die Post- und für die Fernmeldegesetzgebung, die Medienpolitik, die im Moment ja ein sehr aktuelles Thema ist, die Luftfahrt- und die Sicherheitspolitik im öV-Bereich, die Strassenpolitik – es ist wirklich ein äusserst breiter Themenbereich, mit dem wir uns befassen.
Philipp, du bist Mitglied der Neat-Aufsichtskommission. Darunter kann ich mir nun gar nichts vorstellen.
Philipp Hadorn: Die Neat-Aufsichtsdelegation ist wirklich eine spannende Sache. Sie wurde gegründet, weil man gesagt hat: Lötschbergbasistunnel, Gotthardbasistunnel und Ceneritunnel, das ist ein spezielles Projekt mit spezieller Finanzierung, spezieller Aufsicht, speziellen Instrumenten.
Der erste Vizepräsident dieser Kommission war Ernst «Aschi» Leuenberger, und es ist für mich ganz besonders schön, mit diesem Präsidium ein Solothurner- und SEV-Erbe zugleich antreten zu dürfen. Sie ist aus Mitgliedern beider Räte (Stände- und Nationalrat) zusammengesetzt, wobei drei Kommissionen je zwei Mitglieder entsenden: die Finanzkommission, die Geschäfts- prüfungskommission und die Verkehrskommission.
Ich bin Mitglied sowohl der Verkehrs- wie der Finanzkommission und habe in der Delegation den «Hut» der Finanzkommission auf. «Aufsicht» üben wir in dem Sinn aus, dass wir sicherstellen, dass die gesprochenen Kredite auch richtig verwendet werden, dass also das richtige gebaut wird, zur rechten Zeit an die Betreiber übergeben werden kann und zum Preis, der einmal abgemacht worden ist. Das ist recht spannend, was da gemacht wird.
Edith Graf: Ich möchte noch anfügen, dass für mich mit dem Präsidium der KVF-N ein Traum Wirklichkeit geworden ist: Als Eisenbahnerin war das immer meine Traumkommission, und als ich noch aktiv im Beruf war, hätte ich mir kaum je träumen lassen, einmal diese wichtige Kommission präsidieren zu dürfen.
Ich komme aus einer Eisenbahnerfamilie, mein Vater arbeitete bei der SBB, meine grosse Schwester ebenfalls, der Vater war SEV-Mitglied – für mich war das selbstverständlich, dass ich mit dem Beginn meiner Lehre SEV-Mitglied geworden bin. Der Bahnhofvorstand hat mir damals das Beitrittsformular aufs Pult gelegt.
Aber was kannst du als Präsidentin dieser Kommission denn entscheiden oder bewirken? Worauf können wir uns in diesem Jahr freuen?
Edith Graf: Ich hatte einen spannenden Einstieg, in der ersten Kommissionssitzung Mitte Januar konnte ich bereits einen Stichentscheid fällen in der Frage der Rosinenpickerei durch die Fernbusse. Die Kommission war gespalten, 12:12 Stimmen, dank meinem Stichentscheid beantragt die Kommission dem Nationalrat, dass Fernbusse nur dann eine Konzession erhalten dürfen, wenn sie den regionalen Personenverkehr oder den Fernverkehr nicht zu stark beeinträchtigen.
Generell ist meine Hauptaufgabe eine faire Sitzungsleitung. Im Parlamentsgesetz heisst es zudem, dass für die Kommunikation der Kommissionspräsident bzw. die -präsidentin zuständig ist, bis am Dienstagnachmittag nach dem zweiten Sitzungstag die offizielle Medienmitteilung versandt wird.
Gibt es viele Anfragen von Medienschaffenden, die einen Primeur wollen?
Edith Graf: Ja, das kommt natürlich auch vor. Dann erkläre ich, wie die Abläufe geregelt sind. Die meisten Anfragen sind jedoch Auskunftsfragen zum Fahrplan der Kommission und inhaltliche Fragen zu den aktuellen Geschäften.
Wenn ein Mitglied der Kommission vor der offiziellen Kommunikation eine Medienanfrage erhält, erwarte ich ein faires und korrektes Verhalten, damit diejenigen, die sich an die Spielregeln halten, nicht medial benachteiligt sind.
Philipp, die Neat ist doch jetzt gebaut, beschäftigt ihr euch jetzt damit, das Erbe zu verwalten?
Philipp Hadorn: Im SEV darf ich mich vor allem für den Luft- und den Güterverkehr engagieren – die Arbeit der Neat-Aufsichtskommission hat auch sehr viel mit dem Güterverkehr zu tun. Den (oder die) Tunnel hat man zur Umsetzung des Verlagerungsauftrags gebraucht, und in der Verkehrskommission, deren Mitglied ich ja auch bin, haben wir jetzt gerade den Verlagerungsbericht beraten. Die Neat muss die Tunnel rechtzeitig fertigstellen, und auch der SEV hat ein grosses Interesse daran, damit die Jobs in diesem Bereich gesichert werden können.
Auch die Frage nach dem Betreiber beschäftigt uns; bei einem grossen Teil der Neat ist die SBB der Betreiber – beim andern die BLS – und die Art, wie die Betreiber ihren Auftrag erfüllen, hat einen Einfluss etwa auf SBB Cargo, es ist also miteinander verwoben. Schlussendlich aber geht es um Geld, und das ist der Link zur Finanzkommission, die ich vertrete.
Die Tunnel der Neat werden nach und nach fertig, der Ceneri – hoffentlich – im Jahr 2020. Da sind auch einige Hürden zu überwinden. Konflikte gibt es vor allem beim Beginn und beim Ende einer Beziehung. In solchen Veränderungssituationen kommt es zu speziellen Konstellationen und Fragestellungen.
Bei den Tunneln kann es zu Konflikten mit Unternehmern kommen, bei der Alptransit gab es Führungswechsel, da ist eine Aufsicht durchaus zweckmässig. Doch die grossen Lose sind vergeben, da gab es schwere Konflikte und auch Verfahren gegen Vergaben, das ist jetzt überwunden. Wir haben damals dem Bundesrat eine Empfehlung abgegeben, dass er die Vergaben so macht, dass es nicht zu Rekursen kommt, die zu Verzögerungen und damit zu immensen Mehrkosten führen. Auch deshalb hat unsere Aufsicht ihren Stellenwert.
Aber mit der zuerst etwas missglückten Vergabe der Reinigungsarbeiten im Gotthardtunnel hat die Delegation nichts zu tun?
Philipp Hadorn: Wir sprechen in jeder Sitzung mit Vertretern der Ersteller, also von Alptransit, und der Betreiber, es geht also nicht nur um die Infrastruktur, sondern auch um deren Nutzung. Gerade bei der Schnittstelle, beim Übergang von der Erstellung über die Tests bis zum Betrieb, gibt es ein grosses Konfliktpotenzial, wer was machen darf und muss. Da gibt es viele Entscheide zu fällen.
Deshalb haben wir bei Bedarf immer das BAV bei den Sitzungen dabei und die Finanzkontrolle. Mich haben dabei auch die enormen Nachforderungen erschüttert, die alles in allem auf etwa ein Drittel der Forderungen reduziert werden konnten. Da muss man schon genau hinschauen. Auch mit der SUVA haben wir zusammengearbeitet bezüglich Temperatur, Luftqualität etc., wo wir Massnahmen verlangten.
Aber zum Vollausbau des Lötschbergbasistunnels habt ihr nichts zu sagen?
Philipp Hadorn: Nein, die NAD schaut nur, ob die Beschlüsse richtig umgesetzt werden, aber sie fällt die Entscheide nicht selber. Wenn also allenfalls ein solcher Ausbau beschlossen würde, müsste man auch beschliessen, welche Überwachung nötig ist.
Edith Graf: Ich finde es sehr nützlich, dass man für solch grosse und komplexe Vorhaben eine spezielle, institutionalisierte Kontrolle kennt. Im «Normalbetrieb» haben wir im Parlament die Geschäftsprüfungskommission, aber bei solchen Grossprojekten muss ein separates, permanentes Gremium die richtige und zweckmässige Verwendung des beschlossenen Geldes überwachen.
Gut, jetzt wissen wir, was die NAD tut, aber was tust du, Philipp, als ihr Präsident?
Philipp Hadorn: Der Präsident hat überall eine ähnliche Funktion: Er legt die Traktanden fest und sorgt für einen geordneten Sitzungsbetrieb. Jedes Jahr schreibt die NAD einen Bericht ans Parlament und macht auch einen Besuch vor Ort.
Da hat das Präsidium Gestaltungsmöglichkeiten, was man sich anschaut und mit wem man spricht. Da kann man auch das Augenmerk auf verschiedene Dinge legen – mir sind etwa die Arbeitsbedingungen ebenso wichtig wie andere Vertragsbestimmungen.
Viele von uns sind schon einmal im Bundeshaus gewesen oder haben die Sessionen und Debatten in den Medien verfolgt. Als aussenstehende Beobachter/ innen fragen wir uns dabei oft, was die Arbeit eines SEV-Mitglieds oder eines SEV-Sekretärs, einer SEV-Sekretärin im Nationalrat bringt. Wichtig sind doch einige wenige mit besonders lauter Stimme! Die andern passen sich an oder gehen unter, nicht?
Edith Graf: Das ist eine zentrale Frage, denn die effektive Arbeit wird in den Kommissionen geleistet, und die Verkehrskommission macht eine grosse Vorbereitungsarbeit in den verkehrspolitischen Fragen, die für unsere Mitglieder relevant sind. Für die Meinungsbildung in der Kommission können wir auch Gäste einladen, das ist sehr nützlich.
Wenn das Geschäft dann in den Rat kommt, sind die Meinungen eigentlich schon gemacht, denn die Fraktionen sind ja in der KVF repräsentativ vertreten. Und in diesen Gremien, wo die Weichen gestellt werden, ist es wichtig, dass SEV-Mitglieder ihre Sicht und Bedürfnisse einbringen können.
Philipp Hadorn: Wir sind ein Milizparlament, in dem jedes Mitglied seine persönlichen Erfahrungen mit- und einbringt. Wie wir Vertreter/innen anderer Branchen zuhören, wissen alle anderen, dass wir SEV-Leute uns in verkehrspolitischen Fragen auskennen. Man weiss, dass wir mit den Beschäftigten der Unternehmen im Austausch stehen. Und beim weitgehend unbestrittenen Ausbau des öffentlichen Verkehrs bringen wir die Anliegen derjenigen ein, die in diesen Betrieben arbeiten.
Edith Graf: Ich lege Wert darauf, alle Parlamentsmitglieder gleich zu behandeln, aber ich kann natürlich in der politischen Arbeit meine langjährigen Kenntnisse aus der Berufsarbeit einbringen. Das schätze ich am Milizsystem. Ich betreue als SEV-Sekretärin KTU, in der Kommission setze ich mich dafür ein, dass im Regionalverkehr nicht an der Sparschraube gedreht wird. Es ist wichtig, die gesamten politischen Rahmenbedingungen zu kennen.
Philipp Hadorn: Und die Unternehmen wissen auch, dass wir SEV-Leute im Parlament dafür zuständig sind, ihre Rahmenbedingungen festzulegen.
Das Gespräch moderierte Peter Anliker
Das Interview wurde vor den jüngsten Ereignissen um Postauto geführt. Edith Graf- Litscher, die davon stark betroffen ist, wehrt sich gegen Vorverurteilungen und will «alle Fakten auf den Tisch». «Mit der Trickserei hat man dem Postauto und dem öffentlichen Verkehr allgemein einen Bärendienst erwiesen», hält Edith Graf-Litscher fest. Eine Privatisierung wäre aber ihrer Meinung nach keine Lösung.
Bio
Philipp Hadorn (51) ist verheiratet und hat drei (erwachsene) Söhne. Auf seiner Homepage stellt er sich als «Familienvater, Christ, Gewerkschafter und Politiker» vor. Nach dem Jura-Studium arbeitete Hadorn bei der Ge- werkschaft comedia, seit 2002 beim SEV.
Der in Gerlafingen (SO) wohnhafte Finanz- und Verkehrspolitiker ist seit 2011 im Nationalrat und Mitglied der Finanzkommission, der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen und der Neat-Aufsichtskommission, seit Anfang Jahr deren Präsident.
Edith Graf-Litscher (53) ist verheiratet und wohnt in Frauenfeld (TG). Ihre Interessengebiete sind die digitale Nachhaltigkeit und die Komplementärmedizin, die Sicherheits- und Verkehrspolitik, die Medienpolitik und der Service public. Edith Graf-Litscher arbeitete nach einer Ausbildung zur Bahnbetriebsdisponentin bei der SBB und wechselte 2008 zum SEV.
Seit 2005 ist sie Mitglied im Nationalrat und ist als Stimmenzählerin Mitglied des Ratsbüros. Sie ist Mitglied der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen und seit Anfang Jahr deren Präsidentin.