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San Francisco

Der Google-Bus fährt, aber nicht für alle

Wohl kein Ort der Welt zeigt besser als die kalifornische Metropole, was passiert, wenn IT-Konzerne die Stadtplanung übernehmen.

Die doppelstöckigen Busse sind weiss, an ihrer Front, wo sonst der Zielort zu lesen ist, prangen ein Smiley und ein aufdringliches «Hi!». Das Lachen allerdings dürfte den Passagier/innen, deren Silhouetten hinter den getönten Fensterscheiben zu erkennen sind, vergangen sein: Oranger Rauch steigt in den Himmel, Aktivist/innen in weissen Schutzanzügen entrollen Transparente und türmen E-Trottinette diverser Internetfirmen als Blockade auf. Die Fahrt ins siebzig Kilometer entfernte Silicon Valley ist für die als Google-Busse bekannten Shuttles in San Franciscos Mission-Quartier erst einmal zu Ende.

Die Fahrer/innen, die auch Angestellte anderer Silicon-Valley-Unternehmen wie Facebook und Apple zwischen Stadt und Arbeitsort hin- und herkarren, kennen das Prozedere schon. Seit 2013 kommt es immer wieder zu Blockaden – nicht nur in San Francisco, auch in Oakland. «Die Konzerne treiben die Privatisierung unserer Städte voran», sagt Jacqueline Gutierrez von der Latino-Organisation Poder, die bei der Blockade im Mission-Quartier dabei ist. Firmen wie Google würden die Bevölkerung verdrängen, sagt Gutierrez: «Und sie vereinnahmen den öffentlichen Raum und prekarisieren den Arbeitsmarkt.»

Mekka der Immobilienspekulation

Für Aktivist/innen wie Gutierrez sind die Busse Symbole für die Hypergentrifizierung der ganzen Metropolregion. Unglaubliche 3200 US-Dollar kostet eine Zweizimmerwohnung monatlich im städtischen Durchschnitt, weit mehr also als selbst im teuren Zürich, wobei die Löhne in Kalifornien deutlich niedriger sind. In der Mission, dem bei IT-Angestellten beliebten Latino-Quartier, wohnt man sogar noch teurer. Nicht viel besser ist es in Oakland und Berkeley auf der anderen Seite der Bucht. Zugleich sind in der Bay Area die sozialen Ungleichheiten grösser als in den meisten US-Städten, was zur Verdrängung von Schwarzen und Hispanics und generell von einkommensschwachen Gruppen geführt hat. Auch die weisse Mittelschicht ist inzwischen betroffen.

Daten des Anti-Eviction Mapping Project, eines Datenvisualisierungskollektivs, zeigen, dass die Tech-Shuttles mehr als nur ein Symbol für diese Entwicklung sind. «Wir konnten belegen, dass 69 Prozent der Fälle, in denen Mieter ohne Selbstverschulden auf die Strasse gestellt werden, in einem Vierblockradius um einen Tech-Shuttle-Stopp stattfinden», sagt Erin McElroy, die Leiterin des Projekts. Die Nähe zum Pendelbus erhöhe die Attraktivität der Wohnlage für gut bezahlte IT-Fachkräfte, was wiederum Druck auf die Mieten ausübe. «Oft werden diese Haltestellen von Maklern aktiv beworben und Quartiere wie die Mission als neue Trendmeile für Programmierer vermarktet», sagt die Datenanalystin.

Rund vierzig Techbusse pro Stunde würden morgens allein an dieser einen Kreuzung in der Mission verkehren, sagt eine Aktivistin bei der Blockade: «In der gleichen Zeit sind es jedoch nur sechs städtische Busse.» Das etabliere ein Zweiklassensystem. Wer wegen der steigenden Mieten die Wohnung verliert, muss stundenlange Pendelwege in Kauf nehmen – wegen des schlechten öV-Systems oft im eigenen Auto. Denn der Google-Bus hält nur für die hoch bezahlten Programmiererinnen und Softwareingenieure.

Mit der Errichtung eines privaten Busverkehrs hat Google Tatsachen geschaffen, obwohl dieses Verfahren rechtlich umstritten ist. Ähnliche Methoden praktizieren auch Start-ups wie Bird und Lime. Über Nacht verteilen die Firmen App-basierte E-Scooter und Velos wild im öffentlichen Raum. «Diese Unternehmen verkaufen sich gerne als grün», sagt Keally McBride von der Universität San Francisco: «Doch statt des Autos konkurrenzieren sie den öffentlichen Verkehr. Gerade das Sammeln von User-Daten sichert ihnen dabei einen entscheidenden Vorteil.»

Den Firmen gehe es auch nicht um Mobilität für alle. Vielmehr sei das Ziel, die Konkurrenz auszubooten, um dann die Preise anheben zu können. «Bis dahin sind die Scooter nur Platzhalter für im Hintergrund ablaufenden Spekulationsgeschäfte – ein Wegwerfprodukt, wie Bilder riesiger Müllhaufen solcher Start-up-Bikes in China belegen», sagt McBride.

Daher auch die weissen Schutzanzüge der Aktivist/innen an der Kreuzung im Mission-Quartier: «Techsploitation in den Elektrosondermüll» steht auf einem der Transparente der ungewöhnlichen Putzequipe – ein Wortspiel aus den Begriffen «tech» und «exploitation», Technologie und Ausbeutung. Die Aktivist/innen wollen die Gentrifizierung vor der eigenen Haustür mit globalen Produktionsketten und prekären Arbeitsbedingungen in der Techbranche in Zusammenhang bringen. Was Letztere angeht, bieten sowohl Bird als auch Lime gute Beispiele: Beide Start-ups beschäftigen keine Angestellten, um ihre E-Trottinette einzusammeln, aufzuladen und wieder in der Stadt zu verteilen, sondern unabhängige Vertragsnehmer/innen, die mit dem eigenen Auto und ohne soziale Absicherung arbeiten. Statt eines Monats- oder Stundenlohns erhalten sie einen Stückpreis. Immer wieder kommt es deswegen zu Streitereien, wenn es die prekär Arbeitenden auf ein- und denselben Scooter abgesehen haben.

Der Widerstand wird international

Demonstrationen finden neuerdings auch am anderen Ende der Shuttle-Buslinie statt. Dort, wo die grossen weissen Busse neben firmeneigenen Volleyballfeldern und blau-rot-gelb-grünen Google-Velos auf ihre Abfahrt Richtung San Francisco warten. Kürzlich lag hier sogar das Ziel eines zweitägigen Marsches der Gruppe Serve the People San José, die sich gegen die Errichtung eines Google-Campus in San José wehrt.

Deswegen sind auch bei der Blockade in der Mission Aktivist/innen aus San José dabei – und aus Berlin. In der deutschen Hauptstadt will sich der Konzern nämlich im alternativen Kreuzberg ansiedeln, wo er auf Widerstand trifft. «Google will an den Mythos Kreuzberg anknüpfen und schneller auf potenzielle Innovationen zugreifen», sagt Konstantin Sergiou vom Berliner «No Google Campus»-Bündnis. Schon jetzt aber würden auch in Berlin viele Menschen verdrängt. «Unser Ziel ist es, den Widerstand gegen Big Tech international zu vernetzen», pflichtet Aktivistin Veronica aus San José bei. Denn Google, Facebook und Uber sind nirgendwo gute Nachbarn.

Autorin: Katja Schwaller

Dieser Artikel erschien zuerst in der WOZ (Nr. 38/2018). Dies ist eine gekürzte Fassung.

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