Die Klimaerwärmung und die Folgen für die Schweiz und die übrige Welt

«Man muss das bisher Ungedachte denken»

Martine Rebetez ist Klimatologin. Sie erklärt die Folgen der Klimaerwärmung für Schweizer Wintersportorte und Seilbahnen. Sie macht Lösungsvorschläge, um den Problemen zu begegnen, die Bergregionen in schneearmen Wintern entstehen. Martine Rebetez erklärt auch, wie andere Gebirgsregionen unter der Klimaerwärmung leiden, insbesondere die Anden und der Himalaya. Für sie könnten die Auswirkungen bedeutend folgenschwerer sein als für die Schweiz.

kontakt.sev: Die Wintersaison 2015/16 ist für verschiedene Skiorte äusserst schwierig. Ist das wirklich eine langfristige Tendenz oder einfach nur ein schlechtes Jahr?

Martine Rebetez: Es ist eine Langfristtendenz, aber man muss wissen, dass es auch grosse Unterschiede von einem Jahr zum anderen gibt. Auch künftig wird es sehr schneereiche Winter geben. Und die Unterschiede zwischen den Wintermonaten werden sehr gross sein können: zum Beispiel ein sehr warmer Dezember und ein schneereicher Februar.

So ist diese Entwicklung aus klimatologischer Sicht eigentlich normal?

Nein, normal ist sie nicht. Es sind ganz klar die Treibhausgasemissionen, die diese raschen Veränderungen, die sich in nur wenigen Jahrzehnten ereigneten, verursacht haben. Der Mensch als Verursacher der Erwärmung ist klar erwiesen. Temperatur und Schneefallgrenze sind im Vergleich zu den 70er-Jahren um rund 300 bis 400 Meter gestiegen. Um so viel Schnee zu haben wie früher an einem Ort auf 1000 Metern, wird man künftig auf 1300 bis 1400 steigen müssen.

Lässt sich diese Tendenz noch umkehren?

Umkehren nicht, aber etwas mildern und verlangsamen lässt sich diese Entwicklung. Leider habe ich nicht den Eindruck, dass sich dieses Denken ausbreitet, trotz den kürzlich gefassten Beschlüssen von Paris (an der Cop 21, der Klimakonferenz von Paris Ende 2015).

In der Schweiz steigen die Temperaturen zweimal schneller als im weltweiten Mittel. Dies ist eine Folge unserer geografischen Lage in Europa, weit weg von allen Meeren (die das Klima ausgleichen). Und je weiter man nach Norden geht, desto schneller ist der Anstieg.

Ich persönlich als Nicht-Skifahrerin und nicht in den Bergen lebender Mensch sehe in dieser Erwärmung auch gute Seiten …

Sie hat auch gute Seiten. Wenn man etwa die Volksgesundheit (oder Public Health) ansieht, sind diese milden Winter für ältere Menschen angenehmer. Man hat festgestellt, dass die Sterblichkeit im Dezember 2015 stark unterdurchschnittlich war. Es gab auch weniger Stürze durch Ausgleiten und Unfälle. Andererseits sind Hitzesommer schwerer zu ertragen. 2003 und 2015 war die Sterblichkeit erhöht, nicht nur bei den älteren Menschen, sondern auch bei den 40- bis 60-Jährigen. Kardiovaskuläre Risiken sind in sehr heissen Sommern erhöht.

Was sind, abgesehen davon, dass es in manchen Wintern keinen Schnee hat, die Folgen der Klimaerwärmung für die alpinen Landschaften?

Die Folgen für die Vegetation sind enorm. Bäume brauchen Zeit, sich anzupassen und sich in neuen Räumen auszubreiten. Unbekannte Krankheiten tauchen auf, neue Parasiten, die sich nach oben und nach Norden ausbreiten. Der Borkenkäfer greift während der Hitzeperioden die Fichten an, und die Wälder werden in immer grösseren Höhen angegriffen. Natürlich können sich andere Bäume an die geänderten Verhältnisse anpassen, aber es braucht Zeit, bis diese Bäume ausgewachsen sind.

Und die Auswirkungen auf die Gletscher?

Die Gletscher schmelzen und unsere Wasservorräte verringern sich. Unsere Wasserversorgung kann in gewissen Regionen in gewissen Jahreszeiten problematisch werden, insbesondere im Wallis, wo die Suonen das Gelände seit Jahrhunderten mit Gletscherwasser versorgen. Dieses Problem stellt sich übrigens auch in den Anden und im Himalaya. In den trockenen Gebirgsregionen der Tropen ist dieses Phänomen schon weiter fortgeschritten, denn die Gletscherschmelze ist dort massiv. Hinzu kommt dort das Problem, dass es drei Monate Regen und neun Monate Trockenheit gibt. Ohne Gletscher wird die Wasserversorgung äusserst problematisch. Und ohne Wasser gibt es keine Kulturen, kein Leben.

In der Schweiz ist es aber nicht das gleiche Problem.

In der Tat haben wir keine lange Trockenzeit. Grundsätzlich regnet es jeden Monat und sommers wie winters. In der Schweiz hat der Schneemangel Auswirkungen auf den Tourismus. Auch in den Anden- und Himalaya-Staaten gibt es Tourismus, aber es geht dort noch viel mehr ums Überleben, weil das Schmelzwasser jedes Jahr unverzichtbar ist.

In der Schweiz gibt es nur eine Region mit regelmässiger Trockenheit im Sommer, wo es nach 2050 zu Versorgungsproblemen kommen könnte: das Rhonetal auf der Höhe von Sitten und die Abschnitte des Eringertals (Val d’Hérens) und des Saastals.

Kommen wir auf die Schweizer Skiorte zu sprechen. Welche Möglichkeiten gibt es für sie, auf diesen immer häufiger auftretenden Schneemangel zu reagieren?

In der Tat wird die Zahl der Tage, da mit einer Schneedecke gerechnet werden kann, kleiner. Die sensibelste und problematischste Periode sind die Weihnachtsferien. Im Februar hat der Schneemangel noch nicht die gleichen Ausmasse angenommen. Auf der anderen Seite wird die Sommersaison immer länger. Das ist eine Herausforderung, die es anzunehmen gilt: Man muss das Angebot anpassen. Im Sommer können die Seilbahnen während einer längeren Zeit betrieben werden. Die Ferienorte können ihr Sommerangebot ausbauen und die Saison über die traditionellen Monate Juli und August hinaus verlängern.

Mehrere Orte haben sich schon auf das Mountainbike verlegt und entsprechend angepasste Abonnemente für die Bergbahnen entwickelt. Am Moléson hat es seit mehreren Jahren im Sommer mehr Tourismusbetrieb als im Winter. Sie haben aus freiem Willen auf Schneekanonen verzichtet und schlagen andere Aktivitäten vor.

Und was können die Ferien- orte im Winter vorschlagen?

Letzte Weihnachten beispielsweise waren die Touristen, die in den Ferien waren, nicht unglücklich. Das Wetter war schön und mild, sie konnten etlichen Sommeraktivitäten frönen. Die Kundschaft wird immer Freude daran haben, über den Nebel zu kommen. Wenn es dagegen regnet, wird es schwieriger. Dann muss man Innenaktivitäten anbieten, etwa ein Hallenbad, Thermalbecken oder eine Kletterwand. Wenn früher auf 1000 Metern im Winter etwas vom Himmel fiel, war es Schnee. Heute ist es in der Hälfte der Fälle Regen.

Sind Sie auf lange Sicht für die Seilbahnunternehmen eher pessimistisch oder optimistisch?

Es gibt Chancen. Es braucht Anpassungsfähigkeit, um entsprechend den Gegebenheiten zu funktionieren und verschiedene Angebote bereit zu haben. Die Verantwortlichen der Skiorte müssen sich etwas Neues einfallen lassen.

Die Mode des mit dem Skifahren verknüpften Tourismus ist schlussendlich auch nicht so alt, nicht wahr?

Genau. Erst in den 1950er-Jahren hat man begonnen, den Wintertourismus ernsthaft zu entwickeln. Vorher war der Schweizer Tourismus vor allem ein Sommergeschäft.

Und was soll man von Schneekanonen halten?

Künstlicher Schnee ist nur eine kurzfristige Lösung für Skiorte niedriger und mittlerer Höhe. Die Temperaturen sind immer öfter zu hoch, um ihn produzieren zu können, und dann regnet es noch auf denjenigen, den man machen konnte. Die Schneekanonen kann man in grösserer Höhe einsetzen, vor allem in trockenen Gegenden – oder während einer Übergangsperiode, während der man sich andere, längerfristige Lösungen überlegt.

Sie müssen für Ihre Arbeit sicherlich viel reisen. Nehmen Sie oft das Flugzeug?

Nein, ich beschränke das Fliegen auf eine Flugreise alle zwei Jahre. Ich finde, man muss konsequent sein. Ich prangere die durch die Treibhausgasemissionen hervorgerufene Klimaerwärmung das ganze Jahr über an. Da kann ich doch nicht unbedacht dazu beitragen, indem ich jeden Monat ins Flugzeug steige! Im Allgemeinen nehme ich nur an Kongressen teil, wenn ich mit dem Zug hinfahren kann. Innerhalb Europas, nach Berlin beispielsweise, ist es ideal, mit dem Zug hinzufahren. Ich steige in Bern oder Basel ein, richte mich fürs Arbeiten ein und ungefähr acht Stunden später bin ich in Berlin, mitten in der Stadt.

Interview: Henriette Schaffter/pan.

BIO

Professorin Martine Rebetez ist Inhaberin des Lehrstuhls für angewandte Klimatologie, der von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und der Universität Neuenburg gemeinsam geschaffen worden ist. Die dortigen Forschungen befassen sich mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen.

Aus ihrer Feder stammt das Buch «Helvetien im Treibhaus. Der weltweite Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Schweiz» (Haupt Verlag, CH-Wissen).

Sie lebt zwischen Neuenburg und dem freiburgischen Vivisbachbezirk und liebt das Langlaufen.