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Bundesamt für Verkehr heisst Tieflohn der Crossrail AG für Lokführer in Brig gut

SEV akzeptiert BAV-Entscheid nicht

Gemäss Bundesamt für Verkehr beträgt der branchenübliche minimale Lokführerlohn im grenzüberschreitenden Güterverkehr 37 Franken pro Stunde, inklusive Zulagen. Doch für die Crossrail-Lokführer in Brig seien 31 Franken zulässig, da sie zu 70% in Italien fahren. Der SEV wird diese BAV-Verfügung beim Bundesverwaltungsgericht anfechten. SEV-Vizepräsidentin Barbara Spalinger erklärt warum.

Schon im Mai 2015 hatte das Bundesamt für Verkehr (BAV) den Tieflohn der Crossrail-Lokführer in Brig als branchenüblich durchgewinkt, indem es Löhne ausländischer Güterbahnen als Referenzgrösse beizog. Dagegen klagte der SEV beim Bundesverwaltungsgericht, das den BAV-Entscheid im Dezember 2015 prompt umstiess und das BAV anwies, sich «an den schweizerischen Verhältnissen zu orientieren». Danach hat das BAV bei den zehn Schweizer Bahnen, die im grenzüberschreitenden Güterverkehr tätig sind, Standardlöhne zwischen 37 und 48 Franken pro Stunde inklusive Zulagen ermittelt – neben den 31 Franken bei Crossrail – und am 10. Januar den Mindestlohn der Branche (offenbar ohne die Lokführerzahlen zu gewichten) bei 37 Franken festgelegt. Dennoch beurteilt das BAV den 6 Franken tieferen Lohn der Crossrail als branchenüblich, weil ihre Lokführer zu 70 % in Italien fahren und in Italien wohnen. Dies ist für den SEV aus mehreren Gründen inakzeptabel, vor allem aber deshalb, weil sich das BAV damit erneut an ausländischen Verhältnissen orientiert.

kontakt.sev: Barbara Spalinger, das BAV hat gestützt auf die Lohndaten von zehn im internationalen Schienengüterverkehr tätigen Schweizer Eisenbahnverkehrsunternehmen einen branchenüblichen Standardbruttolohn von 37 Franken pro Stunde inklusive Zulagen ermittelt. Ist dieser für den SEV in Ordnung?

Barbara Spalinger: Wir wissen leider nicht, wie dieser Betrag ermittelt worden ist, da das BAV nicht offengelegt hat, wie es auf diese Ziffer kam. Es wurde uns nie ein rechtliches Gehör gewährt. Sollte es der Fall sein, dass das BAV einfach den Lohn von zehn Unternehmungen ermittelt, zusammengezählt und einen Durchschnitt ausgerechnet hat, so wurden Äpfel mit Birnen verglichen: Man muss ja auch schauen, wie viele Angestellte den jeweiligen Stundenlohn erhalten, und wir wissen, dass die meisten Lokführer bei drei Unternehmungen tätig sind. Es gibt beispielsweise bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von GAV Quorumsregeln nicht nur bezüglich der Anzahl Unternehmungen, sondern auch bezüglich der Anzahl Mitarbeiter/innen.

Das BAV beurteilt den Stundenlohn von 31 Franken inklusive Zulagen der Crossrail-Lokführer mit Standort Brig als branchenüblich, obwohl er unter dem minimalen Standardlohn liegt. Dies mit der Begründung, dass diese Lokführer zu 70% in Italien arbeiten und zudem in Italien wohnen. Was sagst du dazu?

Eine Referenz auf das prozentuale Einsatzgebiet eines Lokführers in der Lohnfestsetzung ist milde gesagt fantasievoll, das macht unseres Wissens keine einzige Unternehmung in der Schweiz. Wenn schon müsste berücksichtigt werden, ob ein Lokführer mehrere Fahrdienstvorschriften kennen und mehrere Sprachen beherrschen muss, was ja, wenn es zutrifft, eher für einen höheren als einen niedrigeren Lohn spricht. Komplett absurd wird es, wenn der Wohnort im Ausland eine Rolle spielen soll. Damit würde legitimiert, dass ein Grenzgänger schlechter bezahlt wird, weil man seine Kaufkraft bewertet. Die Vorgabe des Bundesverwaltungsgerichts für das BAV war, sich an schweizerischen Verhältnissen zu orientieren. Fakt ist, dass Crossrail Arbeitsverträge nach Schweizer Recht angeboten hat, und dieser Umstand ist ausschlaggebend dafür, dass sich Crossrail nach der schweizerischen Branchenüblichkeit zu richten hat.

Was wären die Folgen, wenn der SEV diesen Crossrail-Lohn von 31 Franken als branchenüblich akzeptieren würde?

Dann würden wir etwas akzeptieren, von dem wir bezweifeln, dass es korrekt zustande gekommen ist. Denn wie gesagt hat uns das BAV kein rechtliches Gehör zu seinem Vorgehen gewährt. Und andere Unternehmen würden ihre Löhne dann auch senken können mit der Begründung, dass Lokführer teilweise im Ausland fahren oder dort wohnen.

Das BAV warnt, dass Crossrail Arbeitsplätze ins Ausland verlegen könnte, falls man ihr den Lohn von 31 Franken verweigere.

Diese Drohung ist uns sattsam bekannt, das sieht man aktuell auch im Abstimmungskampf um die Unternehmenssteuerreform III, wo genau gleich argumentiert wird. Im Falle Crossrail ist sie zudem nachweislich falsch. Wir wissen nämlich, dass Crossrail aus rein ökonomischen Gründen Schweizer Arbeitsverträge wollte: Damit kann die Doppelbesetzung auf der Lok in Italien umgangen werden, die dort vorgeschrieben ist. Das Ganze ist also eine schlichte Sparübung für sie. Das Abwanderungsargument ist ein billiger Vorwand, das Lohnniveau anzugreifen. Wir aber wollen das Gegenteil: Wir wollen Schweizer Löhne auf Schweizer Schienen. Und übrigens ebenso auf den Schweizer Strassen. Denn der Wettbewerb soll fair bleiben.

Markus Fischer

Der Fall Crossrail

4. April 2014: Der SEV weist das Bundesamt für Verkehr (BAV) in einem Brief darauf hin, dass die Crossrail AG mit Sitz in Muttenz rund 70 italienische Lokführer neu in Brig stationieren will und ihnen gemäss Arbeitsvertrag nach der Ausbildung nur 3350 Franken im Monat bezah- len will. Weil die branchenüblichen Anfangslöhne der Lokführer in der Schweiz wesentlich höher seien (5358 Franken bei der SBB, 5780 bei der BLS), verletze die Crossrail damit Artikel 8d Absatz 1 Bestimmung d des Eisenbahngesetzes (EBG), wonach Bahnunternehmen die arbeitsrechtlichen Vorschriften und die Arbeitsbedingungen der Branche einhalten müssen, um die Netzzugangsbewilligung zu erhalten. Das BAV müsse daher den Entzug der Netzzugangsbewilligung prüfen.

10. April 2014: Die Crossrail erklärt dem BAV bei einem Treffen, sie habe 41 italienischen Mitarbeitern schweizerische Arbeitsverträge angeboten, ihr Basislohn betrage nach der Ausbildung 3600 Franken brutto, damit verdienten sie inklusive Zulagen 4945.75 Franken brutto.

17. Juni 2014: Der SEV zeigt Crossrail wegen Verletzung des EBG an.

20. Januar 2015: Das BAV legt den Expertenbericht vor, den die Arbeitsgemeinschaft Ecoplan/Kurt Moll Advokatur in seinem Auftrag verfasst hat. Dieser definiert den grenzüberschreitenden Bahngüterverkehr als separate Branche, wo die Löhne ausländischer Eisenbahn- verkehrsunternehmen (EVU) auch in der Schweiz massgeblich seien.

30. März 2015: Der SEV legt ein Gegengutachten der Zürcher Juristen Marco Donatsch und Stefan Schürer vor. Sie sagen: EBG-Artikel 8 be- zieht sich auf alle Bahnunternehmen, die eine Netzzugangsbewilligung nach Schweizer Recht wollen. Die Arbeitsbedingungen der Branche be- stimmen sich aufgrund der Verhältnisse in den schweizerischen EVU.

6. Mai 2015: Das BAV entscheidet, dass die Crossrail-Löhne branchenüblich seien. Dagegen klagt der SEV beim Bundesverwaltungsgericht.

15. Dezember 2015: Das Gericht urteilt, «dass sich die Branchenüblichkeit im Sinn von Art.8d Abs.1 Bst.d des EBG an den schweizerischen Verhältnissen orientiert. (...) Der Auffassung der Vorinstanz, die Arbeitsbedingungen definierten sich nach allen schweizerischen und europäischen EVU, die grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr anbieten, kann nicht gefolgt werden.» Das BAV müsse neu entscheiden.

10. Januar 2017: Das BAV verfügt, 31 Franken pro Stunde für italienische Lokführer, die zu 70% in Italien fahren, seien branchenüblich.

Fi