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Schifffahrt auf dem Langensee

Stillstand auf dem Lago Maggiore – für einen Tag

Am Dienstag, 3. Juli, hat das Schiffspersonal im Schweizer Becken des Langensees die Arbeit für einen Tag niedergelegt. Es verkehrten nur die frühesten und spätesten Kurse, um die Verbindungen der Pendler/innen vom Gambarogno zu garantieren. Für den Rest des Tages standen die Schiffe still. Die Schifffahrtsgesellschaft SNL wollte den Betrieb mithilfe des Personals vom Luganersee teilweise aufrechterhalten. Der Kampf um die Lohnbedingungen ist kein Luxus, sondern Pflicht, besonders in einem Kanton, in dem die Löhne durch ungesunde Wettbewerbssituationen allzu oft unter Druck kommen oder gar gesenkt werden.

Dienstag Morgen, 08:30 Uhr: Verschränkte Arme nach den ersten Kursen, die den Pendlerverkehr aufrechterhalten haben. 08:35 Uhr: Die Handys der Gewerkschafter klingeln sturm. Die Inhalte und Modalitäten des eintägigen Streiks werden der SNL-Direktion und den Vertreter/innen des Kantons mitgeteilt. «Die ehemaligen NLM-Angestellten haben den Streik beschlossen» erklärte Angelo Stroppini, SEV-Gewerkschaftssekretär und Leiter der Verhandlungsdelegation für die Ausarbeitung des GAV. «An der Personalversammlung haben sie die Resultate der laufenden Verhandlungen für ihren GAV analysiert und festgestellt, dass ihre Löhne per 1. Januar 2019 stark gekürzt werden sollen. Kurz gesagt – ein Dumping-Fall, der dadurch noch verschlimmert wird, dass das Unternehmen von wichtigen kantonalen Subventionen profitiert.» Der Tessiner Unia-Sekretär Enrico Borelli und Lorenzo Jelmini von der Gewerkschaft OCST teilen diese Ansicht voll und ganz. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen betonten die drei Gewerkschafter, dass die aktuelle Situation der Unnachgiebigkeit des Arbeitgebers SNL zu verdanken ist.

Den ehemaligen NLM-Angestellten war von Anfang an klar, dass die Löhne den grössten Stolperstein in den GAV-Verhandlungen darstellen werden. Aus diesem Grund zeigen sie sich bereit, diesen sensiblen Punkt zu verhandeln. Sie sind sich bewusst, dass in diesen schwierigen Verhandlungen gewisse Opfer unvermeidbar sein werden. «Bereits vier Mal hat sich die Personaldelegation mit der Gegenseite getroffen», erzählt Angelo Stroppini. «Bei all diesen Gelegenheiten wurde betont, dass die Löhne des vorherigen NLM-Personals ab dem 1. Januar 2019 dem Reglement des Unternehmens SNL angeglichen werden. Dies entspricht einer Reduktion um 15% oder mehr. Dieses Szenario ist inakzeptabel wenn man bedenkt, dass das Unternehmen dank dem Streik im letzten Jahr wichtige finanzielle Unterstützung vom Kanton erhält.» Wir stehen vor einem klaren Fall von Lohndumping. Für die Gewerkschafter ist der Kampf gegen Lohnsenkungen eine Pflicht, denn er basiert auf der Überzeugung, dass die Arbeit einen grossen Wert hat, der nicht durch solche Praktiken entwürdigt werden darf. «Noch unverständlicher wird die Sturheit der SNL-Direktion, wenn man sich an den Businessplan erinnert, der mehrmals präsentiert wurde», findet Angelo Stroppini. «Darin wurde festgehalten, dass die Angleichung der SNL-Löhne um 5% für alle Angestellten auf den zwei Seen eine praktikable Lösung wäre, und zwar ausgehend von 32 aktiven Arbeitskräften auf dem Lago Maggiore, nicht von den 17 aktuell auf dem See beschäftigten Angestellten.

Der Lohn ist und bleibt eine essentielle Komponente der Arbeit. Denn von Schulterklopfen oder Empfehlungen von denen, die gute Löhne haben, kann man nicht leben. Das Ende des Monats kommt für uns alle, doch für diejenigen, die ohne einen angemessenen Lohn ihre Familie ernähren müssen, kann es ganz schön wehtun. Und fast alle Arbeiter/innen haben eine Familie. Aus diesen Gründen ist eine Einigung bei diesem Thema unverzichtbar, bevor man den Rest des GAV diskutiert. Stroppini, Borelli und Jelmini ärgern sich: «So, wie es zurzeit aussieht, werden die ehemaligen NLM-Angestellten aufgefordert, für weniger Lohn zu arbeiten und weniger freie Tage zu akzeptieren!»

In dieser Situation hat sich die Belegschaft entschieden, ihre Löhne mit der gleichen Beharrlichkeit zu verteidigen, mit der sie für die Gründung des neuen Konsortiums gekämpft haben – für das sie heute wegen Personalmangel mit einer unmöglichen Planung der Arbeitszeit tätig sind.

«Wir machen nicht gern weniger», sagten einige der Schiffsleute, «aber mit dieser Kampfmassnahme hoffen wir, die festgefahrene Situation lösen zu können, denn sie belastet uns sehr.» Es ist nicht einfach, mit dieser Ungewissheit umzugehen, wenn man sie an der eigenen Haut erlebt. Kein Wunder, dass viele ehemalige NLM-Angestellte den Beruf gewechselt haben. Die Schiffsleute lieben ihre Arbeit, sie kennen sich auf dem See bestens aus und wünschen sich nichts mehr, als ihren Berufweiter ausüben zu können – mit einem GAV, der ihre Lohn- und Arbeitsbedingungen garantiert.

Es bleibt die Frage nach der Würde. Diese Frage betrifft uns alle, unabhängig von der Branche oder der Berufskategorie. So sagte es Enrico Borelli, der vor den Medien von einem Arbeitsmarkt sprach, «der uns erschaudern lässt». Es ist ein Arbeitsmarkt, der mit einem Schlag Arbeitsplätze, Rechte und die Würde der Angestellten auslöschen kann. So geschah es zum Beispiel auch bei OVS, dem Bekleidungsunternehmen, das hunderte von Mitarbeitende entlassen hat, ohne die Spur eines Sozialplans und ohne Rücksicht auf die Grundrechte. Eine Delegation der entlassenen OVS-Angestellten gesellte sich zu den Streikenden, um ihre Solidarität den Schiffsleuten gegenüber zu zeigen, die ihren Mut und ihre Würde bewiesen haben. Denn unsere Würde schulden wir in erster Linie uns selbst. Wenn sie kollektiv ausgedrückt wird, kann sie zu einem wichtigen Teil des Kampfes werden. Deshalb gebührt jedem Einzelnen Respekt, der für seine Rechte kämpft. «Heute wird uns bewusst, was es heisst, keine beruflichen Aussichten zu haben. Wir sitzen alle im gleichen Boot und hoffen, dass es nicht untergeht.» Diese Worte richtete eine der entlassenen Verkäuferinnen an die Schiffsleute, die von ihrem Arbeitgeber in Zeiten der Unsicherheit gestürzt wurden.

Und hier ist ein weiteres Schlüsselwort: Solidarität. Um mit einer gewissen Ruhe kämpfen zu können, ist der Zusammenhalt unter den Arbeiter/innen unabdingbar. Das wissen die Schiffsleute, die den historischen Streik von 2017 miterlebt haben, nur zu gut. So hat sich eine solide und eingeschweisste Gruppe gebildet, über alle individuellen Charaktere und ihre persönlichen Geschichten hinaus. Angelo Stroppini fasst zusammen: «Diese Einstellung zeigte sich auch am 3. Juli, als die Kollegen von Lugano gerufen wurden, um die nicht bedienten Kurse zu ersetzen. Der Betrieb wurde mit grossem Anstand und ohne Konflikte wiederaufgenommen. Das Verantwortungsgefühl der Angestellten hat sich durchgesetzt.»

Jetzt aber geht es darum, die Gespräche über das kommende Jahr wieder aufzunehmen. Denn die Vereinbarung mit dem Kanton und der Stadt Locarno gilt nur für 2018, alles andere gilt es zu verhandeln. Und das nächste Jahr kommt bestimmt …

Françoise Gehring/kt