Gesamtarbeitsvertrag 2015 für SBB & SBB Cargo

Die Eckwerte des GAV stehen

Die über 100 GAV-Delegierten des SEV haben am 26. Juni in Bern die grossen Linien des neuen GAV, welche die SBB und die gewerkschaftliche Verhandlungsgemeinschaft Anfang letzter Woche fertig ausgehandelt haben, gutgeheissen. Nun müssen noch die Vertragsdetails geregelt werden. Der bereinigte Text wird der GAV-Konferenz am 25. September zum definitiven Entscheid vorgelegt.

Die Verhandlungsdelegationen der Sozialpartner haben am frühen Morgen des 25. Juni nach zweitägigen, 34-stündigen Verhandlungen – und sieben vorangegangenen Gesprächsrunden – die Eckwerte des neuen GAV paraphiert.
Rund fünf weitere Stunden brauchte die SEV-Verhandlungsdelegation am 26. Juni, um die Eckwerte – geordnet nach den fünf Themenbereichen Arbeitszeit, Lohn und Zulagen, Berufliche Neuorientierung, Allgemeines/Rechtliches und Pensionierungsmodelle – den GAV-Delegierten vorzustellen und zu deren Fragen und Reaktionen Stellung zu nehmen. Danach schritt die GAV-Konferenz zu einer konsulta-
tiven Abstimmung und genehmigte das provisorische Verhandlungsergebnis mit grosser Zustimmung. Allerdings gab es etliche Fragen zu Details, die man bei den Verhandlungen aus Zeitgründen noch nicht regeln konnte. Diese Details müssen nun noch diskutiert und der definitive Vertragstext erstellt werden. Darüber soll am 25. September die nächste GAV-Konferenz entscheiden.
Die wichtigsten Eckpunkte des neuen GAV sind im gegenüberliegenden Kasten zusammengefasst. Nachfolgend werden die Reaktionen und Diskussionen an der GAV-Konferenz nachgezeichnet.

Kompromiss bei der Arbeitszeit

In diesem Themenbereich wollte die SBB allerlei Einsparungen erzielen, insbesondere dank mehr Flexibilität des Personals. Resultiert habe ein für beide Seiten akzeptabler Kompromiss mit Rahmenbedingungen, sagte Gewerkschaftssekretär Martin Allemann.
Auf die Frage eines Delegierten, wie die «selbst verschuldeten Minusstunden» genau definiert seien, antwortete der Arbeitszeitspezialist des SEV, dass diese Frage noch bereinigt werden müsse und in der Praxis wohl naturgemäss immer wieder zu Diskussionen führen werde.
Anpassungen werden auch noch in den Bereichsspezifischen Arbeitszeitregelungen (BAR) nötig sein, wo gewisse Dinge für einzelne Berufsgruppen speziell geregelt sind. Entsprechende Detailfragen konnte Martin Allemann denn auch noch nicht beantworten. In die Bereinigung der BAR werden die betreffenden Unterverbände selbstverständlich einbezogen.
Die laufende Revision des Arbeitszeitgesetzes (AZG) führt dazu, dass administrative Mitarbeitende künftig im Prinzip dem Arbeitsgesetz (ArG) unterstehen. Je nach Einbettung im Betrieb könnten sie aber weiterhin dem AZG unterstehen, beispielsweise dann, wenn sie auch am Wochenende arbeiten, präzisierte Martin Allemann auf Nachfrage eines BAU-Delegierten, der wissen wollte, welches Gesetz für ihn gelten wird.
Die Chancengleichheitsbeauftragte des SEV, Lucie Waser, konnte den Delegierten auf dem Gebiet der Elternurlaube gute Nachrichten überbringen, die mit Applaus quittiert wurden: Der Mutterschaftsurlaub wird um eine Woche auf 18 Wochen verlängert, der Vaterschaftsurlaub auf 10 Tage verdoppelt und bei der Adoption minderjähriger Kinder sind neu 10 Tage Urlaub garantiert.

Lohn und Zulagen

Lob konnte auch der für den Bereich Lohn zuständige Gewerkschaftssekretär Daniel Froidevaux dafür ernten, dass sich die SBB im GAV dazu verpflichtet, künftig jährlich genügend Mittel zur Verfügung zu stellen, damit alle Mitarbeitenden in ihrem Lohnband in rund 20 Jahren den Maximallohn erreichen. Ein junger Delegierter, der seit seiner Zweitausbildung unter dem Basiswert angestellt ist, gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass dies künftig nicht mehr möglich sein wird: Damit nehme sein Jahreslohn gut spürbar zu. Insbesondere die älteren Delegierten nahmen mit Erleichterung zur Kenntnis, dass die SBB ihren Widerstand gegen die Weiterführung der Lohngarantien 2011 letztlich aufgegeben hat.
Als der Zulagenspezialist Michael Buletti über die Vereinheitlichung und Verbesserung der Sonntagszulage informierte, gab es spontanen Applaus von Delegierten, die Berufsgruppen mit tieferen Anforderungsniveaus vertreten. Die Sonntagszulage wird 2015 auf 15 Franken pro Stunde vereinheitlicht und in einem zweiten Schritt 2017 auf 16 Franken angehoben, womit dann alle profitieren.
Dass die SBB ihre Forderung nach der Streichung der Tunnel- und der Erschwerniszulage schliesslich fallen liess, nahmen die betroffenen Delegierten mit Genugtuung zur Kenntnis. Ein Kollege des Unterverbands BAU merkte allerdings kritisch an, dass es an der Zeit gewesen wäre, die Tunnelzulage anzuheben. Noch zu regeln ist die Auslandzulage für sicherheitsrelevante Tätigkeiten im Zusammenhang mit einem ausländischen Bahnnetz: Dazu soll eine Arbeitsgruppe bis Ende Jahr eine Vereinbarung aushandeln.

Berufliche Neuorientierung

«Ich muss euch bitterere Nachrichten überbringen», bedauerte SEV-Vizepräsidentin Barbara Spalinger einleitend zu ihren Erläuterungen der Verschlechterungen beim Kündigungsschutz (siehe Kasten und Interview mit Manuel Avallone). Die SBB habe gegen den heutigen Kündigungsschutz «eine starke Attacke geritten», u. a. auch mit dem Argument, dass der Wettbewerb verzerrt werde, wenn sie hier höhere Kosten tragen müsse als andere Unternehmen, die Mitarbeitende an die Arbeitslosenversicherung abschieben können. Nach langem Kampf habe der SEV eine gewisse Aufweichung des Kündigungsschutzes akzeptieren müssen, um die Frühpensionierungsmodelle nicht zu gefährden. Auch sei in den nächsten Jahren nicht mit grossem Personalabbau zu rechnen, sondern mit Personalaufbau, weshalb nicht allzu viele Betroffene zu befürchten seien. Spalinger verwies zudem auf die Abfederung der Lohnreduktion im Arbeitsmarktcenter durch ein Minimum, unter das nicht gekürzt werden darf, und eine Härtefallklausel. Einige Delegierte teilten diese Einschätzungen. Andere zeigten sich besorgt, dass über 50-jährige Mitarbeitende und solche mit Monopolberufen einen speziellen Schutz benötigt hätten und dass die SBB nun, da eine erste Bresche geöffnet sei, weiter in diese Kerbe hauen werde.

Allgemeines/Rechtliches

Was die Anwendung des revidierten Bundespersonalgesetzes (BPG) betrifft, vertritt der SEV nach wie vor den Standpunkt, dass die SBB frei ist, mit ihren Sozialpartnern im GAV bessere Regelungen zu vereinbaren, während die SBB behauptet, dies sei nur dort möglich, wo das BPG dies explizit erlaube, wie Barbara Spalinger ausführte. Da die Zeit für ein Rechtsgutachten zum Thema nicht gereicht hat, musste auf eine definitive Klärung im Moment verzichtet werden, was nicht heisst, dass der SEV die Auffassung der SBB teilt. Immerhin war diese bereit, die Kündigungsandrohungen weiterhin auf ein Jahr zu befristen, obwohl dies das BPG nicht mehr vorschreibt. Wichtig hier ist insbesondere, dass die Einsprache gegen eine Kündigungsandrohung nicht mehr wie bisher an den nächsthöheren Vorgesetzten geht, sondern neu durch eine neutrale Rekursinstanz beurteilt werden soll. Weil diese aber nicht paritätisch zusammengesetzt sei, erwarte er davon nicht allzu viel, kritisierte ein Delegierter.
Die zahlenmässige Beschränkung der temporär Beschäftigten stiess auf positives Echo, ebenso die Verpflichtung der SBB, diesen nach vier Jahren eine feste Anstellung anzubieten, wobei ein Delegierter hier eine kürzere Zeit besser gefunden hätte. Denn in den Indus-triewerken sprängen gute Leute häufig wieder ab, die bei einer Festanstellung vermutlich bleiben würden.

Pensionierungsmodelle

Die Delegierten folgten mit Interesse den Ausführungen von Gewerkschaftssekretär Olivier Barraud zu den vier Modellen. Besonders wertvoll ist das «Vorruhestandsmodell für besonders belastete Berufsgruppen mit tiefem Lohnniveau», weil sich damit künftig Mitarbeitende ohne finanzielle Verluste vorzeitig pensionieren lassen können, die sonst trotz gesundheitlicher Probleme möglichst lange durchhalten müssten, bis sie wirklich krank werden, immer häufiger ausfallen und aus medizinischen Gründen pensioniert werden müssen. Da dies die Unternehmung sehr teuer kommt, hat sie Hand geboten zu einer guten, auch für sie interessanten Lösung.

Markus Fischer

Wichtigste Eckwerte des GAV 2015

Arbeitszeit: Neu ist ein flexibleres Arbeitszeitmanagement möglich.

Lohn/Zulagen: Die «Lohngarantie 2011» wird gebunden an die Laufzeit des GAV weiter- geführt. Für die systembedingten Lohnanstiege (Lohnentwicklung) verpflichtet sich die SBB, mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Sonntagszulagen werden vereinheitlicht und verbessert, und die SBB verpflichtet sich, Mitarbeitende nach einer Zweitausbildung nicht mehr unter dem Basiswert anzustellen.

Berufliche Neuorientierung: Die Aufenthaltsdauer wird nicht befristet, jedoch erfolgt ein Übertritt ins Arbeitsmarktcenter (AMC) ab dem vierten Dienstjahr [d. h., die Betroffenen müssen zum Zeitpunkt des Stellenverlustes mindestens während 4 Jahren bei der SBB angestellt gewesen sein – die Red.]. Ausserdem werden die Zumutbarkeitskriterien dem Arbeitslosengesetz angeglichen. Insbesondere wird der Lohn entlang der Verweildauer schrittweise gekürzt. Lohnkürzungen unter den Maximallohn des Anforderungsniveaus C sind jedoch nicht zulässig.

Allgemeines/Rechtliches:
a) Bundespersonalgesetz (BPG): Änderungen aufgrund der Revision des BPG werden umgesetzt. Allerdings wird grundsätzlich der Kündigungsschutz bei Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen beibehalten.
b) In einer Vereinbarung aus- serhalb des GAV haben die Sozialpartner und die SBB eine Regelung für die Temporärmitarbeitenden getroffen: Der Anteil von temporär Beschäftigten darf innerhalb des SBB-Konzerns nicht mehr als 4 Prozent betragen. Temporäre Anstellungen dürfen nicht länger als vier Jahre dauern – nach maximal vier Jahren temporärer Anstellung muss eine Festanstellung angeboten werden.

Ein Gesamtpaket von drei Pensionierungsmodellen sowie einem Arbeitszeitmodell soll der demografischen Entwicklung, den Flexibilisierungstendenzen im Bereich der Anstellungsbedingungen und den Herausforderungen in be- sonders belasteten Berufsgruppen gerecht werden.

Damit die letzten Details bereinigt werden können, haben die Sozialpartner und die SBB beschlossen, die Verhandlungen zu verlängern. Ziel ist, die Verhandlungen Mitte September abzuschliessen.