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Zielvereinbarungen: Wie es schief laufen kann

Zielvereinbarungen sind eigentlich ein gutes Führungsinstrument, wenn sie den Weg aufzeigen und ein realistisches Ziel haben – und nicht einfach zur Disziplinierung eingesetzt werden.

Elsie K. arbeitet am Billettschalter eines Bahnhofs und mag ihre Arbeit. Eines schönen Tages aber ruft ihre Vorgesetzte sie ins Büro und erläutert ihr, es habe Kundenbeschwerden gegeben. Drei Personen hätten sich unabhängig voneinander darüber beschwert, dass Elsie sie schroff und unfreundlich abgefertigt habe. Elsie erinnert sich an alle drei Fälle und erläutert ihrer Chefin ihre Sicht der Dinge. Schliesslich war ihr anlässlich der letzten Personalbeurteilung gesagt worden, sie arbeite etwas langsam, und die Schlange an ihrem Schalter sei immer die Längste. Also hat sie sich darum bemüht, schneller zu sein, und war daher kurz angebunden mit den Kunden.

Elsie fällt aus allen Wolken, als die Chefin ihr ein bereits vorbereitetes Papier vorlegt, das mit «Zielvereinbarung» betitelt ist und als Ziel vorschreibt, während einer bestimmten Zeit «keine Kundenreklamationen mehr» zu erhalten. Elsie soll diese Zielvereinbarung unterschreiben, andernfalls droht ihr ein D in der Personalbeurteilung. Tief gekränkt und unter Druck unterschreibt Elsie und geht mit düsteren Gedanken nach Hause.

Was ist eine Zielvereinbarung?

Eine Zielvereinbarung kann durchaus sein, dass man sich in der Familie am Sonntagmorgen darauf einigt, aufs Guggershörnli zu wandern. Im Arbeitsleben aber ist die Zielvereinbarung Bestandteil eines Führungsmodells namens Management by Objectives (MbO). Die Idee dahinter: Mitarbeitende sollen in ihren Arbeitsbereichen auf die Ziele der Unternehmung hinarbeiten, was einerseits bedeutet, dass sie diese kennen müssen, und andererseits, dass diese Ziele für ihren Arbeitsbereich möglichst konkret und messbar umschrieben werden.

Wenn sich Unternehmung X vornimmt, den Umsatz am Schalter im kommenden Jahr um 20% zu steigern, so ist dies ein messbares, gut umschriebenes Ziel. Elsie hat es jedenfalls verstanden und sich darum bemüht, in erster Linie schneller zu arbeiten, also mehr Kunden pro Zeiteinheit zu bedienen. Dasselbe  Ziel könnte für die Marketingabteilung bedeuten, zu überlegen, wie man mehr Kunden an den Schalter bringt, zum Beispiel mit Rabattaktionen oder weiteren Dienstleistungen. Das würde für Elsie bedeuten, dass sie die Kunden auf solche Dienstleistungen aufmerksam macht.

In all diesen Fällen ist klar, dass die Vorgesetzten ihren Mitarbeitenden das Ziel bekanntgeben und auch sagen, wie es für die jeweiligen Tätigkeiten umsetzbar ist. Das passiert mittels einer Zielvereinbarung, die auf den Arbeitsplatz und die Person zugeschnitten ist und im Idealfall gemeinsam erarbeitet wird – deshalb heisst sie eben «Vereinbarung» und nicht die Zielvorgabe. Ist das Ziel messbar, so ist die Erfolgskontrolle einfach. Ist das Ziel zu unspezifisch (wie etwa «zufriedenere Kunden»), so ist die Erfolgskontrolle schon einiges schwieriger.

MbO, dies als Zusammenfassung, ist ein kluges Führungsmodell, das eigentlich jedem einleuchtet. MbO im Alltag aber ist nicht immer einfach umzusetzen und fordert gerade den Vorgesetzten und Bereichsverantwortlichen einiges ab.

Zielvereinbarung als Disziplinarmassnahme

Da MbO ein einleuchtendes Führungsinstrument ist, wird es von Unternehmungen gerne angenommen. Im Alltag aber zeigen sich ein paar Klippen: Wie damit umgehen, wenn mehrere Ziele formuliert werden?  Elsies Fall zeigt exemplarisch, dass es durchaus vorkommen kann, dass zwei verschiedene Ziele schwer vereinbar sind: Umsatzsteigerung und zufriedenere Kunden bedeutet für sie, mehr Leute pro Zeiteinheit bedienen und sie in der kürzeren Zeit erst noch zufriedener machen. Das erste Ziel lässt sich leicht messen, das zweite nur schwer. Und (überforderte) Vorgesetzte machen es sich einfach, wenn sie als Ziel «keine Kundenreklamationen mehr» hinschreiben, denn das ist ein Ziel, für das Elsie nicht allein verantwortlich gemacht werden kann.

Kommt dazu, dass dort, wo das Führungsmodell MbO nur teilweise angewendet oder nicht verstanden wird, Zielvereinbarungen meist nur dann zum Zug kommen, wenn es um Leistungs- oder Verhaltensprobleme von Mitarbeitenden geht. Dort lassen Vorgesetzte lieber eine Zielvereinbarung unterschreiben, als ein Problem anzusprechen und klare Vorgaben zu machen. Insbesondere dann, wenn der Weg zum Ziel nicht einfach klar ist. So dient die Zielvereinbarung als Disziplinierungsmassnahme und ist auch keine eigentliche Vereinbarung mehr, sondern eben eine Vorgabe. Aushandeln kann die betroffene Person dann nicht mehr viel, wie es bei einer Vereinbarung eigentlich die Regel sein sollte. Besonders problematisch ist dies bei Zielen, die schwer messbar sind und bei denen nicht aufgezeigt wird, wie sie erreicht werden können.

Beispiele aus der Praxis

Beispiele von schlechten Zielvereinbarungen hat das Rechtsschutzteam mehr als genug. Einmal gibt es das Problem des negativen Ziels. Wenn dieses beispielsweise «keine Kundenreklamationen mehr» lautet, ist das als Ziel für sich nicht falsch, aber wie soll das von Elsie gesteuert werden, wenn sie darauf keinen Einfluss hat, wie der Kunde heute aufgestanden ist, was ihn für andere Dinge ärgern, welche Vorstellungen er von Service hat?

Etwas anderes ist ein negatives Ziel, das willentlich steuerbar ist: Wäre Elsie eine Person, die regelmässig verspätet zur Arbeit käme, wäre das Ziel «keine Verspätungen mehr» durchaus sinnvoll, weil sie es (zumindest theoretisch) selber in der Hand hat, rechtzeitig  am Arbeitsplatz zu erscheinen.

Was ist aber von einer Zielsetzung «kein Unfall» zu halten? Unfälle werden ja nicht willentlich «begangen», sondern passieren. Hier müsste konkreter und vor allem positiv formuliert werden, welche Vorkehrungen zu treffen sind, damit Unfälle nach menschlichem Ermessen nicht passieren können. Das ist nicht immer ein einfaches Unterfangen und vor allem nicht immer ein lohnendes, weil bekanntlich jemand, der einmal einen Fehltritt gemacht hat, in aller Regel künftig stärker darauf achtet, wohin er seine Füsse setzt.

Damit ist das zweite Problem nebst der negativen Zielsetzung angesprochen: Wann ist eine Zielvereinbarung eigentlich sinnvoll? Gerade bei Unfällen muss eben davon ausgegangen werden, dass sie nicht vorsätzlich passieren, sondern aus Unachtsamkeit, und dass sie in derselben Art, wie sie passiert sind, nicht mehr vorkommen. Hier bringt eine Zielvereinbarung in der Regel gar nichts. Genau so verhält es sich bei Bagatellen, die im direkten Gespräch bestens thematisiert werden könnten. Hier sieht sich das Rechtsschutzteam öfters mit Zielvereinbarungen konfrontiert, bei denen der Verdacht aufkommt, dass der oder die Vorgesetzte die direkte Konfrontation scheut und lieber zwei A4-Seiten aufsetzt, als etwas sagen zu müssen. Ein Beispiel: eine Zielvereinbarung die den Fehlbaren auffordert, sich nicht so in seinem Stuhl zu fläzen. Hat es tatsächlich gegeben.

Das dritte Problem bei der Zielvereinbarung ist der Weg zum Ziel. Soll etwas nicht einfach aufhören (wie zum Beispiel Verspätungen), muss die Zielvereinbarung auch etwas dazu sagen, wie das Ziel erreicht werden kann. Tut sie das nicht, hat der Vorgesetzte es sich einfach gemacht und seinen Mitarbeiter allein gelassen. Das kann durchaus deshalb so sein, weil auch der Vorgesetzte keine Vorstellung davon hat, wie das Ziel zu erreichen ist. Der Witz der Vereinbarung wäre aber gerade, dass man darüber redet, wie das Ziel erreicht werden kann, und dass man sich auf Massnahmen einigt. Dazu gehören auch Punkte, die vom Vorgesetzten zu erfüllen sind, und damit ist durchaus auch anderes als die reine Kontrolle gemeint. Dann und nur dann handelt es sich um eine Zielvereinbarung.

Selbst wenn sich Vorgesetzter und Mitarbeiter nach dem festgehaltenen Zeitraum nicht am Ziel befinden, so ist bei einer echten Zielvereinbarung die Ausgangslage für die Analyse, was schief gegangen ist, eine viel bessere für beide Seiten und im besten Fall noch mit einem Lernprozess verbunden - ebenfalls für beide Seiten. Würden Zielvereinbarungen so verstanden, könnten sie auch nicht so schnell mit einer Kündigungsandrohung versehen werden, wie dies heute sogar bei Bagatellverfehlungen der Fall ist. Streng genommen müssten bei einer echten Vereinbarung nicht wahrgenommene Pflichten des Vorgesetzten ebenfalls Folgen haben.

Fazit:

  • Zielvereinbarungen sollen erreichbare und nach Möglichkeit positive Ziele enthalten.
  • Zielvereinbarungen ersetzen die direkte Konfrontation bei Verfehlungen nicht und sind dabei auch oft weniger wirksam.
  • Zielvereinbarungen lohnen sich bei höchstwahrscheinlich einmaligen Verfehlungen selten.
  • Zielvereinbarungen sind nur dann Vereinbarungen, wenn sich beide Seiten darauf verpflichten. Andernfalls sind es einseitige Zielvorgaben und sollen auch so benannt werden.
  • Zielvereinbarungen müssen den Weg aufzeigen, wie das Ziel zu erreichen ist.
  • Und als Letztes: Zielvereinbarungen nie sofort unterschreiben, sondern immer mindestens eine Nacht darüber schlafen!
Rechtsschutzteam SEV