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SBB Infrastruktur steht vor grossen Veränderungen

Im richtigen Moment die Notbremse gezogen

Schritt für Schritt soll das Projekt «Best Infrastruktur Overhead» mit dem SEV betrachtet und behandelt werden. Der SEV hat sich erfolgreich gegen eine pauschale Verabschiedung als Gesamtpaket gewehrt. Nun beginnt die eigentliche Arbeit.

Wohin geht es mit der SBB Infrastruktur?

«Wohin fährt SBB Infrastruktur? », fragte kontakt.sev im Oktober und legte damit die Absichten von Infrastrukturchef Philippe Gauderon offen. Dieser hatte in zwei Projekten – Best Infrastruktur Overhead (Best IO) und Infra 2014 – einen Totalumbau der Division in die Wege geleitet. Der SEV forderte den Stopp der beiden Projekte, um den Zusammenhang zwischen den beiden Teilen aufzuzeigen und den korrekten Einbezug in die Reorganisation zu verlangen.

Schritt für Schritt

«Wir haben die Notbremse im richtigen Moment gezogen », stellt Urs Huber fest, der im SEV für die Division Infrastruktur zuständig ist. «In mehreren Sitzungen haben wir erreicht, dass wir Schritt für Schritt vorgehen können und vor allem, dass wir bei jedem einzelnen Schritt das so genannte Konsultationsverfahren verlangen können.»

Richtige Fragen stellen

Damit ist zwar noch keine einzige Stelle gerettet, aber es ermöglicht dem SEV, jeweils die Vertreterinnen und Vertreter der betroffenen Einheiten einzubeziehen und so dafür zu sorgen, dass mit fachkundigem Blick die Pläne betrachtet und die richtigen Fragen gestellt werden. So kommt der SEV in die Lage, auch eigene Vorschläge zu unterbreiten.

«Wir wissen, dass es in der Infrastruktur an einzelnen Orten Gründe gibt, um an der Organisation zu feilen», ist auch Huber klar. Gleichzeitig gibt er aber auch zu bedenken: «Diese Leute haben in den letzten Jahre eine Reorganisation nach der andern erlebt – jetzt ist dringend eine stabile Phase nötig, die es den Leuten möglich macht, produktiv zu arbeiten, ohne dauernd durch Restrukturierungen ins Leere zu laufen oder gar um ihre Stelle Angst haben zu müssen.»

Kampf ums Vorgehen

Die Wogen gingen hoch zwischen SBB und SEV, bis schliesslich kurz vor Weihnachten das Vorgehen bereinigt war. Im Januar konnte das erste Teilgebiet angegangen werden; für beide Seiten ein Test, ob das vereinbarte Verfahren zweckmässig ist. Urs Huber ist sowohl zufrieden als auch skeptisch: «Die Unterlagen, die uns die Projektleitung zum Teilgebiet Einkauf und ‹Supply Chain› vorlegte, waren deutlich detaillierter, als wir es uns vorgestellt haben.» Die SBB konnte genau aufzeigen, welche Lösungen für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorgesehen sind. «Wir sind sehr skeptisch, ob die SBB auch bei schwierigeren Bereichen so gut vorbereitet auftreten wird», zweifelt Huber.

Skepsis bleibt

Auch Roland Schwager, Zentralpräsident des stark betroffenen Unterverbands des Verwaltungspersonals, will sich nach diesem ersten Teilprojekt nicht festlegen: «Ich kann noch nicht sagen, ob die SBB generell begriffen hat, was uns wichtig ist!» Schwager bestätigt, dass es richtig war, im Herbst voll auf die Bremse zu stehen. «Wir sehen nun klare Verbesserungen; der Beweis, dass wir auf dem guten Weg sind, steht aber noch aus.»

Formal noch nicht erfüllt ist die Forderung des SEV, die Projekte Best IO und Infra 2014 zusammenzulegen. Durch die vertiefte, schrittweise Behandlung ist aber ein Abgleich der beiden Projekte einfacher; auch zeitlich liegen nun die Abläufe besser beieinander. «Was unter Infra 2014 alles noch auf uns zukommt, ist völlig offen», betont Urs Huber. Bisher hatte dieses Projekt nur zu Veränderungen in den Organisationsstrukturen und Stellenbesetzungen geführt, ohne Auswirkungen auf den Personalbestand. Vieles ist jedoch ohnehin in Bewegung, sodass im SEV die Vorsicht dominiert – schliesslich ist die Erinnerung an Wespa und Fifa, und wie die Projekte alle heissen, noch sehr präsent.

Nicht nur Abbau

Infrastrukturchef Philippe Gauderon hatte gegenüber den Gewerkschaften ebenfalls zusätzliche Handlungsfelder aufgezeigt, bei denen Veränderungen abzusehen sind, losgelöst von den beiden grossen Projekten. So etwa bei den Rottenküchen, den Betriebsführungsstandorten und der Fertigungstiefe, wo die SBB genauer hinschauen will. «Hier geht es nicht überall um Stellenabbau », betonte Philipp Gauderon gegenüber den Gewerkschaftsdelegationen.

Kein Konsultationsverfahren

Der Teilbereich Einkauf und Supply Chain wird nun umgesetzt, ohne dass die Gewerkschaften das so genannte Konsultationsverfahren verlangen, denn bei der Präsentation konnten die Fragen beantwortet werden. Die kommenden Teile werden aber deutlich umfangreicher sein und auch heikler in der Umsetzung. Für den SEV ist klar, dass die betroffenen Personen jederzeit im Vordergrund stehen müssen: «Wir setzen uns dafür ein, dass den Leuten, deren Stelle gestrichen wird, eine langfristige Perspektive geboten wird», sagt Huber.

Fachwissen gefährdet

SEV-Vizepräsident Manuel Avallone ergänzt: «Die SBB riskiert einen massiven Verlust an Fachwissen, wenn sie vorschnell Leute aus der Division entfernt, statt sie für kommende Aufgaben zu qualifizieren.»

Eines ist nämlich allen klar: Auf mittlere Sicht hat SBB Infrastruktur nicht zu viel, sondern massiv zu wenig Personal. Wenn der Bund erst einmal das Geld gesprochen hat, um den Nachholbedarf beim Netzunterhalt zu beheben, wird zusätzliches Personal auf allen Ebenen erforderlich sein. Philippe Gauderon sieht denn auch im Projekt Best IO eine Vorleistung: Indem man die Führungsbereiche der gesamten Division optimiere, werde eine Summe von rund 60 Millionen frei. Diese werde dringend für andere Aufgaben benötigt, versuchte er den Gewerkschaften sein Vorgehen zu erläutern.

Warten auf die Politik

Ernst Küng, bis Ende 2009 Co-Zentralpräsident des Unterverbands Bau, weist seit langem darauf hin, dass grösste Probleme auf die Infrastruktur zukommen: «Solange sich die Politik immer nur darum kümmert, neue Strecken zu bauen, nicht aber um deren Unterhalt, wird es immer teurer!» Wegen der immer längeren Betriebszeiten im Personenverkehr bleiben dem Unterhalt praktisch nur noch die Wochenenden, um am Netz zu arbeiten. «Das verursacht hohe Kosten, und es verschlechtert laufend die Arbeitsbedingungen des Personals », betont Küng. Auch wenn die SBB Einsparungen mache, indem sie den Lieferanten tiefere Preise aufzwinge, leide letztlich das Personal darunter, in diesem Fall einfach jenes der Drittbetriebe.

Finanzierung des Unterhalts sichern

«Unser Netz ist 150 Jahre alt», warnt Küng weiter. Wer nur im Büro sitze, könne schlecht abschätzen, welche Auswirkungen beispielsweise kürzere Zugfolgen aufs Netz haben. Er erwartet von der Politik, dass bis zur Inbetriebnahme der Gotthard-Basislinie auch der Unterhalt dafür finanziert ist – «nicht wie bei Bahn 2000!».

Peter Moor