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Vizepräsidentin und Juristin Barbara Spalinger beantwortet die Fragen rund um die Pandemieplanung

Ich plädiere für einen vernünftigen Umgang mit der Grippe

Die ganze Welt spricht von der Schweinegrippe, der Schweiz wird eine Krankheitswelle vorausgesagt. Das Personal im öffentlichen Verkehr ist teilweise in einer besonderen Risikosituation. Was hat der SEV dazu zu sagen?

kontakt.sev: Die SBB hat einen Pandemieplan erstellt und informiert ihr Personal ausgiebig über die Gefahren und Massnahmen. Hältst du das für angebracht?

Barbara Spalinger: Jetzt, wo so viel zur Schweinegrippe zu lesen ist, scheint es mir nicht dumm, wenn ein so grosses Unternehmen sein Personal direkt informiert, umso mehr als der Ton vernünftig ist. Und es ist eine Tatsache, dass viele Leute bei der SBB gewissen Gefahren ausgesetzt sind – da ist es sinnvoll, etwas dazu zu sagen.

Wird damit nicht die Gefahr einer übertriebenen Angstmache noch erhöht?

Es kann sein, dass gewisse Leute dadurch etwas aufgeschreckt werden, aber es ist sinnvoll, dass sich ein Arbeitgeber Gedanken über eine allfällige Grippewelle macht.

Gelten bei einer grossen Krankheitswelle andere Regeln zwischen Arbeitgeber und Personal als im Alltag?

Nein, es gibt keine neuen Regeln. Auf keinen Fall kann die SBB selbst neue Vorschriften erlassen, allenfalls wäre das in der Kompetenz der Bundesbehörden.

Barbara Spalinger

Barbara Spalinger, 49, ist ausgebildete Juristin und seit 2003 Vizepräsidentin des SEV.

Sie leitet den Berufsrechtsschutz und hat im Juni auch den Bereich KTU wieder von Giorgio Tuti übernommen, nach dessen Wahl zum Präsidenten.

Was ist aus Sicht des SEV in der aktuellen Situation besonders zu beachten?

Wir erwarten, dass die SBB mit einem gewissen Augenmass an die Sache herangeht. So ist es beispielsweise sicher nicht sinnvoll, bei Grippefällen bereits das Verfahren zur Reintegration einzuleiten, auch wenn das möglicherweise auf dem Papier gefordert wäre. Da könnte der GAV falsch verstanden werden, der dies fordert. Gemeint sind dabei natürlich andere Krankheitsfälle, solche, bei denen  ein Arbeitsplatzverlust droht.

Du plädierst also für einen lockeren Umgang mit der Situation?

Ich plädiere für einen vernünftigen Umgang. Wo es bei einem Grippefall zu ernsteren Komplikationen kommt, kann dieses Verfahren möglicherweise nötig werden, aber bei einer normalen Erkrankung nicht, und es wäre auch gar nicht zu leisten, wenn wirklich eine Welle kommt.

In Übereinstimmung mit dem Bund ruft auch die SBB dazu auf, bei den ersten Krankheitszeichen zu Hause zu bleiben und erst nach einem Tag ohne Symptome wieder an die Arbeit zu gehen. Normalerweise erleben wir doch, dass die Arbeitgeber darauf drängen, dass die Leute möglichst schnell am Arbeitsplatz erscheinen. Ist das ein genereller Wandel?

Es ist richtig, dass sich die SBB an die Empfehlungen des Bundes hält. Eigentlich ist es immer sinnvoll, nicht zur Arbeit zu gehen, wenn man sich krank fühlt. Andererseits wird auch nicht zu verhindern sein, dass einzelne Leute trotz Krankheitszeichen zur Arbeit gehen.

Wenn die Leute schnell und lang zu Hause bleiben, bringt das Engpässe, was den Teamleitern Schwierigkeiten verursacht; wie sollen sie das lösen?

Ich gehe davon aus, dass sich die SBB auf diese Situation eingestellt hat. Das kommt ja jeden Winter bei der normalen Grippe auch vor und dann sind auch genügend Leute in der Reserve.

Wie flexibel gelten in einer solchen Situation die Arbeitszeitvorschriften?

Die Vorschriften enthalten ja schon Ausnahmeregeln, die die SBB ausschöpfen kann, aber weiter geht es nicht. Gerade da erwarte ich, dass die SBB eine Planung bereithält, die die gesetzlichen Grenzen einhält.

Verändert sich mit der Schweinegrippe etwas zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das auch danach bleibt?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn die Grippewelle wirklich voll ausbrechen sollte, gilt es vielleicht Lehren daraus zu ziehen, aber die Ausnahmesituation sollte nicht den Normalfall beeinflussen.

Werden die Leute nicht in Zukunft schneller daheim bleiben bei Anzeichen einer Krankheit?

Es wird immer Leute geben, die bei einem Kratzen im Hals eher zuhause bleiben, als andere, aber deren Anteil wird sich deswegen nicht verändern.

Es gibt allerdings sicher auch Leute, die  wirklich Angst haben vor der angekündigten Grippewelle, auch wenn das nicht angebracht ist, wenn man nicht zu einer besonderen Risikogruppe gehört. Es irritiert etwas, dass die SBB diesen Leuten empfiehlt, Ferien oder unbezahlten Urlaub zu nehmen, da sie damit ja den Personalengpass noch verschärft.

Losgelöst von der Schweinegrippe: Welches sind die Hauptprobleme zwischen Unternehmen und Personal im Zusammenhang mit Krankheiten?

Die meisten Probleme gibt es im Zusammenhang mit der beruflichen Reintegration; da wird oft als Ziel festgelegt, dass jemand ohne jegliche Einschränkung eingesetzt werden kann. Wir sind dagegen der Meinung, dass Leute oft auch dann ihre Stelle behalten können, wenn sie eine gewisse Einschränkung haben. Es gibt einen gesellschaftlichen Trend, der eine Welt voller junger, schöner und gesunder Menschen haben will. Aber die Realität ist und bleibt, dass Menschen älter werden und ihre kleinen Schwächen und Mängel haben. Wir müssen darauf achten, dass daraus nicht immer sofort eine Krankheit gemacht wird.

Schauen wir noch auf den SEV: Was für Folgen hat eine Grippewelle auf die Gewerkschaft?

Wir haben keinen Pandemieplan, aber wir können mit Ausfällen beim Personal umgehen. Wir müssten in eine Art «Ferienmodus» schalten. Dabei kann man aber davon ausgehen, dass bei einer Pandemie auch die Nachfrage nach unseren Dienstleistungen krankheitsbedingt sinkt, so dass der gesamte Betrieb auf tieferem Niveau läuft. Wenn eine Behörde Massnahmen anordnen sollte, die uns betreffen, würden wir uns selbstverständlich daran halten.

Wie sieht es aus mit Versammlungen oder Demonstrationen, wo viele Leute zusammenkommen und ein erhöhtes Ansteckungsrisiko besteht?

Alles findet statt wie geplant! Das Ansteckungsrisiko besteht überall: Wer irgendwo mit Bargeld bezahlt, wer eine Türfalle berührt, wer Fastfood isst – da verhindern wir gar nichts mit der Absage einer Versammlung. Wir werden die Sektionen auf dem Laufenden halten, wenn der Bund Einschränkungen verfügen sollte.

Natürlich gibt es ein Schreckszenario – dass ausgerechnet Mitte September die Grippewelle ihren Höhepunkt erreicht und der Bund Grossveranstaltungen untersagt – und damit auch unsere Kundgebung. Aber damit rechnen wir nicht. Die Mobilisierung für den 19. September läuft unvermindert weiter. Das Problem der Pensionskassen wird uns nämlich auch noch beschäftigen, wenn die Schweinegrippe längst Geschichte ist!

Interview: Peter Moor