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Studie zur Zukunft der Rollmaterialindustrie in der Schweiz

Unia und SEV fordern: Investieren in die Zukunftsfähigkeit der Schweizer Bahnindustrie

Die Schweizer Rollmaterial- und Verkehrsindustrie hat Zukunft: Das ist das Resultat einer Studie, die die Gewerkschaften Unia und SEV präsentieren. Es braucht dazu aber auch den Willen aller Beteiligter, dass die Schweiz als Bahnland auch ein Bahnindustrieland bleibt. Forschung und Ausbildung sind die entscheidenden Faktoren, die es zu fördern gilt.

Die Rollmaterial- und Verkehrstechnik-Industrie der Schweiz ist heute international gut aufgestellt und konkurrenzfähig. Das zeigt eine Studie der Metron Verkehrsplanung AG, die Unia und SEV gemeinsam in Auftrag gegeben haben und heute vorstellen. Der eben erst erfolgte Zuschlag an Stadler Rail für den Bau der neuen SBB-Gotthardzüge bestätigt diese Erkenntnis. Diese starke Position ist aber mittel- und langfristig überhaupt nicht gesichert. Die Einbrüche, welche die Rollmaterialindustrie in der Schweiz vor allem in den achtziger Jahren, aber auch später erlebt hat, sind noch in schlechter Erinnerung.

Die Lehre, die es daraus zu ziehen gilt, ist klar: Die Rolle und die Bedeutung der schweizerischen Bahn- und Rollmaterialindustrie hängt ganz wesentlich von der politischen Steuerung der nationalen und regionalen Verkehrspolitik, von den Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung sowie von der Qualität und Förderung der Berufsbildung und der Investitionen in Fachhochschulen und Universitäten ab. Deshalb wäre es gesellschaftspolitisch und volkswirtschaftlich unverantwortlich, die Ausgestaltung des öffentlichen Verkehrs und des gesamten Verkehrssystems (öffentlicher Verkehr, Privatverkehr und privates Transportwesen) ausschliesslich dem freien Markt zu überlassen.

Die Metron-Studie belegt unter anderem, dass im Vergleich mit der allgemeinen Entwicklung im zweiten Sektor (Industrie) der Bereich Schienenfahrzeugbau deutlich besser abschneidet, während sich der Bereich Reparatur und Instandhaltung klar unter der Beschäftigtenentwicklung des zweiten Sektors bewegt.

Die Strukturentwicklung der untersuchten Unternehmen der Rollmaterialindustrie belegt, dass sich das Qualifikationsprofil im allgemeinen erhöht hat, das heisst, dass die Anforderungen an

berufliche Grund- und Weiterbildung gestiegen sind und weiterhin steigen werden. Die Untersuchung bei den Unternehmen Stadler Rail, Bombardier und Siemens zeigt, dass die absolute Anzahl Auszubildender am Ende der betrachteten Periode bei allen drei Unternehmen mindestens gleich hoch ist wie zu Beginn:

  • Bei Bombardier wurde die Gesamtanzahl der Auszubildenden leicht angehoben, die Lehrlingsquote hat sich zudem von 2,2 Prozent auf 3,6 Prozent erhöht.
  • Bei Stadler Rail wuchs die absolute Anzahl Auszubildender stark an, während die Lehrlingsquote etwas rückläufig war. Das hängt aber in erster Linie damit zusammen, dass Stadler Rail in den letzten Jahren ein massives Beschäftigungswachstum vorab im Bereich der Produktion generiert hat.
  • Bei Siemens Mobility ist die Lehrlingsquote recht stabil geblieben, liegt aber mit rund 4,2 Prozent im Vergleich mit den Daten der allgemeinen Betriebszählung im Schienenfahrzeugbau mindestens ein Prozent über dem allgemeinen Quotendurchschnitt bei den Lehrstellen.

Höheres Qualifikationsniveau und gestiegenes Anforderungsprofil führen zu einem deutlichen Handlungsbedarf. Als Probleme werden von den Unternehmen genannt:

  • Genereller Mangel an Fachkräften – riesige Rekrutierungsprobleme
  • Verstärkte Notwendigkeit, hoch qualifizierte Fachkräfte auf dem internationalen Markt zu rekrutieren, unter anderem aufgrund der nicht ausreichenden Quantität der StudienabgängerInnen von ETHZ/EPFL
  • Stagnation für die Arbeitsplatzchancen von Hilfskräften aufgrund der wachsenden Zunahme des Bedarfs an qualifizierten Arbeitskräften

Die beiden Gewerkschaften haben aus der Studie einen Forderungskatalog abgeleitet, der dazu führen soll, dass das hohe technische Niveau gehalten und entwickelt werden kann. «Damit werden langfristig die Arbeitsplätze und die Wertschöpfung insgesamt gesichert», betont der Sektorleiter Industrie der Unia, Nationalrat Corrado Pardini. SEV-Präsident Giorgio Tuti ergänzt: «Die Bahnunternehmen und die Bahnindustrie müssen gemeinsam an der Zukunft arbeiten; die sinnvolle Arbeitsteilung dient beiden Seiten.»

Die Forderungen von Unia und SEV im Überblick:

Forderungen zur Weiterentwicklung der Bahn- und Rollmaterialindustrie

  • Ausbau der öffentlichen Investitionen im Bereich der Bahninfrastruktur. Die deutliche Annahme der FABI-Vorlage im Februar 2014 hat diese zentrale Forderung klar bestätigt.
  • Berücksichtigung der Produktionsbetriebe der Rollmaterialindustrie einschliesslich der Komponenten- und Zulieferbetriebe mit hohem Wertschöpfungsanteil am Standort Schweiz bei der Beschaffung von modernstem Rollmaterial, dies im Interesse der Beschäftigung und der Technologieentwicklung.

Forderungen zu Forschung und Entwicklung

  • Die Bahnunternehmen, allen voran die SBB, und die Unternehmen der Rollmaterialindustrie müssen sich aktiver an der Forschung und Entwicklung im Bereich Verkehrstechnik und Rollmaterial beteiligen. Die SBB wie auch die anderen Bahnunternehmen haben unter anderem die Aufgabe, Forschungsverbünde zwischen Bahnbetrieben, Rollmaterialindustrie und Forschungsinstitutionen wie Universitäten und Fachhochschulen zu schaffen. Die bessere Koordination von Forschung und Entwicklung zwischen öffentlicher Hand, Industrie und Hochschulen muss sich insbesondere an den Anforderungen von Nachhaltigkeit, Ressourceneffizienz und Sicherheit orientieren – analog zur Entwicklung im Automobilsektor (z.B. 2-Liter-Auto).
  • Der Lehrstuhl «Verkehrstechnik» an der ETH Zürich und Lausanne muss dringlich und zwingend ausgebaut werden und vermehrt die Voraussetzungen für interdisziplinäre Forschung schaffen (vgl. Hinweise auf die Forschung über Wirkungsmodelle [Punkt 2.6.]).
  • Im Forschungs- und Entwicklungsbereich gibt es Handlungsbedarf, der verschiedenste Aspekte der Rollmaterialindustrie betrifft wie z.B.
    – Elektrischer Bereich: Antrieb, Stromverbrauch, Energieoptimierung
    – Automatische Kuppelungen
    – Achslasten, vor allem im Hochgeschwindigkeitsbereich
    – Dreh- und Fahrgestelle, u.a. bei den Güterwagons
    – Bremssysteme
    – Lärm
    – Nachhaltigkeit der Produkte (Lebenszyklus)
    – Verbesserung der Diagnosesysteme
    – Sicherheit
    – Behindertentauglichkeit der Fahrzeuge
  • Vermehrter Einsatz von Bundesmitteln der KTI (Kommission für Technologie und Innovation)

Forderungen zur Förderung von Berufsbildung und Qualifikation

  • Stärkung der dualen Berufsbildung in der Rollmaterialindustrie, welche gleichzeitig eine wichtige Basis für die systematische Heranbildung von TechnikerInnen und IngenieurInnen bildet.
  • Erhöhte Durchlässigkeit zwischen Berufslehre (als Basisausbildung) und der Ausbildung von TechnikerInnen und IngenieurInnen durch Fachhochschulen und Universitäten.
  • Sicherstellung einer ganzheitlichen Ausbildung der für Produktion und Entwicklung am Standort Schweiz benötigten qualifizierten Beschäftigten. Dies erfordert Ausbildungsangebote und Lehrgänge, welche unternehmensübergreifend  organisiert werden. Dies schliesst bei Bedarf eine institutionelle Zusammenarbeit mit entsprechenden Bildungsinstitutionen im europäischen Raum mit ein.
  • Gezielte Weiterbildung und -entwicklung der Mitarbeitenden bei der SBB und anderen Bahnbetreibern.

Forderungen zu Unterhalt und Service

  • Aus verkehrs-, sicherheits- und beschäftigungspolitischen Gründen sind Unterhalt und Service weiterhin bei der SBB als Hauptakteur anzusiedeln. Die Gründe sind vor allem die Sicherheit (Qualitätsaspekt in Unterhalt und Wartung) und die Stärkung von Aus- und Weiterbildung.
  • Unabhängig von den möglichen Lösungen muss gewährleistet werden, dass im Markt von Unterhalt und Service für alle beteiligten Unternehmen gleichwertige Arbeitsbedingungen verbindlich gelten, dies zur Gewährleistung der höchsten Standards an Qualität und Sicherheit. Diese Anforderungen an die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit müssen entsprechend rechtlich abgesichert werden.
  • SBB, BLS und andere Bahnbetriebe schaffen die erforderlichen Partnerschaften zwischen Bahnbetreibern und der Rollmaterialindustrie mit dem Ziel, dem jeweils neuesten Stand der Technik und Sicherheit Rechnung tragen zu können.