Eine einzige Anlaufstelle von Rotterdam bis Genua

Der erste transnationale Schienen-Korridor ist in Betrieb

Ein Stahlzug von SBB Cargo International auf dem Weg von Duisburg nach Norditalien

Seit November 2013 funktioniert der «One-Stop-Shop» für Güterverkehrstrassen auf dem Rhine–Alpine-Corridor von der Nordsee durch die Schweiz nach Genua. Grenzüber-schreitende Güterzüge erhalten höhere Priorität bei der Planung und Zuteilung der Trassen. Schweizer Fingerspitzengefühl und Investitionen tragen einen wesentlichen Teil zur fristgerechten Realisierung des wegweisenden Projekts durch fünf Länder und über 1500 Kilometer bei.

Noch bis Ende Mai war Felix Loeffel Vorsitzender des Management Boards des Rhine–Alpine-Corridors: Der ehemalige BLS-Vertreter in diesem Gremium führte mit Diplomatie und Geduld die multinationale Organisation mit Sitz in Frankfurt um viele der Klippen und über einige Hindernisse der multikulturell geprägten Gesellschaft. Der Korridor ist eine von den acht betroffenen Infrastrukturunternehmen gegründete rechtliche Einheit, die von der EU unterstützt und gefördert wird.
Einmal galt es die Interessen der Infrastrukturbetreiber und der Trassenzuweisungsstelle in den fünf betroffenen Ländern – Belgien (InfraBel), Niederlande (Keyrail für die Betuwe-Linie und ProRail fürs restliche Netz), Deutschland (DB Netz), Schweiz (SBB Infrastruktur, BLS Netz und Trasse.ch) sowie Italien (RFI) – unter einen Hut zu bringen. Dann waren die Wünsche und Forderungen der zehn Eisenbahnverkehrsunternehmen auf dem Korridor (darunter aus der Schweiz die BLS Cargo und SBB Cargo) zu harmonisieren.
Schliesslich gehören in der Logistikkette auch die Schnittstellen zwischen den einzelnen Transportträgern zu den Erfolgsfaktoren: Dies sind 21 Hochsee-, Inland- und Binnenhäfen sowie Terminals und Operatoren des kombinierten Verkehrs. «Die Aufgabe des Korridors ist es, die Zuverlässigkeit und Kapazität um je dreissig Prozent zu erhöhen», sagt Geschäftsleiter Stefan Wendel, «und gleichzeitig die Transportzeiten und die Kosten ebenfalls um je dreissig Prozent zu senken.»

Jahrhundertbauwerke

Linie. Sie führt vom äussersten Zipfel desdeutsche Grenze bei Zevenaar/Emmerich. Diese Neubaustrecke steht nur dem Güterverkehr zur Verfügung; sie ist seit 2007 in Betrieb und bewältigt heute über 500 Züge in der Woche.
Das zweite Grossbauwerk bildet der Lötschberg-Basistunnel, der im Jahr 2007 eröffnet wurde und zusammen mit dem Simplon-Intermodal-Korridor über die Bergstrecke der zurzeit einzige 4-Meter-Korridor durch die Schweizer Alpen darstellt.
Noch bevor der Gotthard-Basistunnel in Betrieb genommen wird, nämlich Ende 2014, rollt in Antwerpen der Bahnverkehr über die Liefkenshoek-Verbindung mit einem 6,75 km langen zweiröhrigen Tunnel, der bis zu 40 Meter unter der Schelde liegt. Er verbindet die auf beiden Seiten des Flusses verteilten Hafengebiete von Antwerpen und schafft neue Kapazitäten für einen effizienten Hinterlandverkehr durch Entflechtungen sowie kürzere Wege und Fahrzeiten.
Ebenfalls Teil des Rhine–Alpine-Corridors ist der rund 9,4 Kilometer lange Katzenbergtunnel nördlich von Basel, der im Dezember 2012 als grösstes Einzelbauwerk der Ausbau- und Neubaustrecke Karlsruhe–Basel in Betrieb genommen wurde, und auch die zweite Rheinbrücke in Basel ist Bestandteil einer zukünftig durchgehend vierspurigen Rheintalschiene.

Teils erst Projekte

Im Raum Rastatt wird gebaut, in Offenburg harzt es noch (siehe Kasten auf Seite 12). Noch länger auf sich warten lässt der Ausbau auf dem neu dreigleisigen Abschnitt von der niederländischen Grenze bei Emmerich nach Oberhausen: Hier sind 47 Brücken, 55 Bahn-übergänge und 11 Bahnhöfe anzupassen. Der Kostenpunkt beläuft sich auf 1,5 Milliarden Euro, es wird mit einer Bauzeit von sechs Jahren ab 2016 gerechnet.
Schliesslich ist auch der 4-Meter-Korridor durch die Schweiz via den Gotthard-Basistunnel zu den norditalienischen Terminals mit rund einer Milliarde Franken und fünf bis sechs Jahren Bauzeit ein weiteres Puzzlestück in dieser Landverbindung quer durch Europa von der Nordsee ans Mittelmeer. Sie dürfte etwa im Jahre 2022 fertiggestellt sein.

Neue Herausforderungen

Alle Prognosen lassen – den weltwirtschaftlichen Schwankungen zum Trotz – auf ein weiteres Anwachsen der Güterverkehrsströme schliessen. Am deutlichsten zeigt sich dies am Ausbau des Hochseehafens von Rotterdam mit dem ins Meer gebauten neuen Maasvlakte-II-Hafen-gebiet für die grössten Containerschiffe mit einer Tragfähigkeit von bis zu 20 000 TEU (Zwanzigfuss-Container).
Für die Reedereien, die hier anlegen, ist der Modalsplit für den Hinterlandverkehr vorgegeben: Nur noch 35 Prozent der Ladungen dürfen auf der Strasse transportiert werden (statt wie bisher 49 Prozent), 45 Prozent auf dem Binnenwasserweg (38 Prozent) und neu 20 Prozent auf der Schiene (gegenüber gegenwärtig 13 Prozent). Das ergibt bei Vollbetrieb ein Total von 73 000 Zügen pro Jahr.
Gleiches hat der Hafen Antwerpen vor: Bis 2030 soll der Anteil der Schiene von heute zehn auf fünfzehn Prozent erhöht werden. Die Lösung dieser Herkulesaufgabe sieht Lukas Klippel von der RheinCargo in der engen Zusammenarbeit der drei Verkehrsträger Schiene, Strasse und Wasser: «Nur in Ergänzung statt im Wettbewerb werden wir die Herausforderungen der Zukunft meistern.» Und gibt gleich ein Beispiel, wie das mit dem Überseeexport von Autoteilen in Containern ab Köln über die Nordhäfen funktioniert: «Die ersten Kisten reisen mit dem Binnen-schiff in etwa drei Tagen nach dem Hafen, die zweite Produktion übernimmt die Bahn im Nachtsprung und die zuletzt produzierten Elemente befördert die Strasse mit einer Laufzeit von etwa sechs Stunden, sodass die gesamte Ladung gleichzeitig mit dem Hochseeschiff im Hafen eintrifft.»

Schweizer Engagements

Schweizer Unternehmen entlang dem Rhine–Alpine-Corridor sind gut aufgestellt. Da ist einmal als Eisenbahnverkehrsunternehmen die SBB Cargo International, die inzwischen in Deutschland ihre zehnjährige Präsenz feiert. Sie konzentriert sich auf den Nord-Süd-Verkehr ab den Nordseehäfen Antwerpen und Rotterdam sowie Bremerhaven und Lübeck mit den Anschlüssen in Duisburg, Köln und Ludwigshafen an die Binnenschifffahrt auf dem Rhein. Gemäss Unternehmensleiter Michail Stahlhut ist sie damit der führende Anbieter: «Wir kennen jede Schwelle unserer Hauptstrecke», also des Rhine–Alpine-Corridors. Ein neuer Anbieter auf der Achse ist seit einem Jahr die RheinCargo, die aus dem Raum Köln erste Züge in die Schweiz fährt.
Eine massgebliche Rolle spielt die Hupac: In Antwerpen besitzt sie seit 2010 einen eigenen Terminal und ist am Terminal Combinant (2009) beteiligt, ebenso wie in Ludwigshafen am Kombiterminal der BASF (zusammen mit Bertschi, Hoyer und der Kombiverkehr). Präsenz markiert sie auch in Rotterdam, Duisburg und Köln. Mit Reservekompositionen an zentralen Standorten entlang des Rhine–Alpine-Corridors will Hupac die Verlässlichkeit steigern. Hupac ist im Übrigen mit einem Viertel am Aktienkapital der Crossrail (seit 2010) und von SBB Cargo International (seit 2011) beteiligt.

Erste Erfahrungen

Der Rhine–Alpine-Corridor ist seit November 2013 in Betrieb. Auf die bisherigen Erkenntnisse angesprochen, meint Dirk Pfister, Leiter Produktmanagement und Vertrieb BLS Cargo: «Der One-Stop-Shop für die Trassenbestellung ist eine ausgezeichnete Sache. Allerdings stellen wir noch einen gewissen Harmonisierungsbedarf fest. So ist beispielsweise der intermodale 4-Meter-Korridor am Simplon nicht Teil der vorreservierten Trassen». Und ergänzt: «Die Frage der Sprachgrenzen und -kenntnisse entlang der Route ist unseres Erachtens noch nicht ideal gelöst, sowohl vom Übergang von der einen zur anderen Sprache wie von der Frage, ob es nicht genügt, dass die Mitarbeitenden in den Betriebsleitstellen zweisprachig sind und die Lokomotivführer nur die eine oder andere Sprache beherrschen.»
Für Rainer Klippel von RheinCargo in Köln mit Ganzzugverbindungen in die Schweiz (Braunkohlestaub und Mineralöl) ist die Priorisierung der Verkehrsleistungen zunächst unge-wohnt. Er findet: «Die teilweise starre Systematik ist nicht für alle Produkte anwendbar.» Es brauche die Flexibilität für kurzfristige Buchungen. Boris Dobberstein von DB Schenker Rail ergänzt: «Die infrastrukturellen Rahmenbedingungen des gesamten Korridors müssen auf das Niveau des Gotthard-Basistunnels angehoben werden. Wir wünschen uns, dass die Innerschweizer Übergangskonzepte bis zur Eröffnung des Ceneri-Basistunnels bereits Verbesserungen bringen.»
Zu der Kritik gibt Felix Loeffel zu bedenken, dass sich der One-Stop-Shop in der Einführungs-phase befinde; er komme erst auf den Fahrplanwechsel 2014/15 voll zum Tragen: «Anpassung-en aufgrund der ersten Erfahrungen sollen sofort im Sinne der Eisenbahnverkehrs-Unternehmen vorgenommen werden.»

Einheitslänge und -gewicht

Viel versprechen sich die Bahnvertreter und Operateure von der Optimierung der Zuglänge und des Zuggewichts entlang des gesamten Korridors auf 740 Meter und 2000 Tonnen, wie das bereits heute von Basel via Lötschberg-Basistunnel nach Domodossola mit Doppeltraktion der Fall ist. Mit nur einer Lokomotive wird dies jedoch auch zukünftig einzig auf der echten Flachbahn durch den Gotthard-Basistunnel und weiter via Luino in die westlich von Mailand liegenden Terminals möglich sein. 

Kurt Metz

Der Rhine–Alpine-Corridor auf einen Blick

Die früher «Corridor 1 Rotterdam– Genua» genannte Schienengüterverkehrs-Organisation begann ihre Aktivitäten 2003 mit drei Zielen:
• Die Verkehrsverlagerung von der Strasse auf die Schiene voranzutreiben
• Den Marktanforderungen gerecht zu werden
• Den europäischen Schienengüterverkehr zu verbessern
Als strategische Ausrichtung gelten das Schaffen der Interoperabilität, das Beseitigen von Infrastruktur-Engpässen sowie der Aufbau eines umfassenden Service-Konzepts.
Der Korridor weist folgende Merkmale auf:
• Distanz Zeebrugge–Genua: 1500 km
• Gesamtstreckenlänge: 2500 km (ab allen Häfen und über die beiden Schweizer Alpenrouten)
• Schienenlänge: 4900 km
• 9 neue Tunnels mit einer Länge von 130 Kilometern
• 6 Hochseehäfen, 10 Haupt-Binnenhäfen
• Über 100 intermodale Terminals
Im Jahr 2005 wurden auf dem Korridor 28,3 Billionen Tonnenkilometer befördert. Diese Menge soll bis ins Jahr 2020 mehr als verdoppelt werden, nämlich auf 58,9 Billionen TKM.
Das Programmbüro befindet sich in Frankfurt am Main und wird von Stefan Wendel geleitet. Sein Team besteht aus drei Mitarbeitenden und rund dreissig delegierten Arbeitsgruppenmitgliedern aus den fünf Mitgliederländern; die Korridor-Sprache ist Englisch.
Es gibt drei Haupt-Arbeitsgruppen:
• ERTMS (European Rail Traffic Management System) – ein einheitliches System für Inter-  operabilität und die gegenseitige Anerkennung von Parametern, Standards, Regulierungen usw.
• Infrastruktur und Terminals
• Verkehrs- und Leistungs-Management
Der Corridor One-Stop-Shop (C-OSS) ist die neue Anlaufstelle für Katalog-Trassen – sogenannte Pre-arranged Paths (PaPs) – für alle grenzüberschreitenden Ver- bindungen auf dem Korridor. Die Geschäftsstelle befindet sich bei der Korridor-Organisation in Frankfurt, die auch Arbeitgeberin ist.