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Mitgliederwerbung

Werbung: Raus aus der Komfortzone!

Dr. Tania Weng-Bornholt ist Leiterin der Abteilung Netzwerke bei der TopPharm Genossenschaft. Auf den ersten Blick hat dies so gut wie gar nichts mit Gewerkschaften zu tun. Trotzdem steht Weng-Bornholt am 29. März selbstbewusst und ganz entspannt vor den Teilnehmenden des SEV-Kurses «Gemeinsam weiterkommen – Werbeimpulse für den SEV». Ihr Referat mit dem Titel «Mitglieder-Marketing» sitzt. Niemand hat auch nur den geringsten Zweifel: Diese Frau weiss, wovon sie spricht. Auch wenn es wehtut.

«Die sechs teuersten Worte jeder Organisation lauten: Das haben wir immer so gemacht.» Dr. Tania Weng-Bornholt schaut vorwärts, nicht rückwärts. Sie kennt den SEV und seine Geschichte nicht. Es interessiert sie nicht, wie wir es früher gemacht haben mit der Mitgliederwerbung, sondern sie will uns Wege aufzeigen, wie wir heute und in Zukunft wieder mehr Mitglieder werben und an den SEV binden können. Ihre Ideen sind radikal, erfrischend radikal…

Input 1: Mitglieder und Kunden

«Wir müssen uns von dem Gedanken lösen, dass ein Mitglied zwingend etwas anderes ist als ein Kunde.» Dieser Einstieg in Kombination mit dem Titel des Referats, «Mitglieder-Marketing», mag in den Ohren von uns Gewerkschafter/innen zunächst befremdlich klingen. Schliesslich wollen wir unseren Mitgliedern ja nicht in erster Linie etwas verkaufen.

Doch genau das ist Tania Weng-Bornholts Punkt. Bei der Mitgliederwerbung geht es nicht darum, was wir als SEV wollen, sondern darum, was die (potenziellen) Mitglieder wollen. Und plötzlich macht die Analogie mit den Kunden Sinn: «Ein Kunde will immer eine Individualleistung», erklärt Weng-Bornholt. «Er will eine Dienstleistung oder ein Produkt, aus dem er einen individuellen Nutzen zieht.» Und das wollen auch unsere Mitglieder. Weng-Bornholt fährt weiter: «Im Werbegespräch argumentiert man gerne mit dem Nutzen der Mitgliedschaft, doch dieser kollektive Nutzen ist nicht das Gleiche wie der Mitgliedsnutzen. Der Mitgliedsnutzen ist nämlich der individuelle Nutzen, den das einzelne Mitglied aus der Mitgliedschaft zieht.» Ein Beispiel aus dem Hause SBB: Der Gesamtarbeitsvertrag gilt für die Beschäftigten unabhängig davon, ob sie Mitglied bei einem der Sozialpartner sind oder nicht. Dafür bezahlen Nicht-Mitglieder einen Vollzugskostenbeitrag. Viele Nichtmitglieder sehen nicht, welchen zusätzlichen Nutzen sie aus der («teuren») Mitgliedschaft ziehen könnten.

«Hier kommt die Kommunikation ins Spiel», meint Dr. Tania Weng-Bornholt, «denn sie ist ein sehr wichtiges Element der Mitgliederwerbung.» Gerade der kollektive Nutzen der Gewerkschaft wird erst sichtbar, indem wir über unsere Erfolge sprechen. Nur so können sie überhaupt wahrgenommen werden.

Input 2: Mitgliederbindung

Die Bindung von bestehenden Mitgliedern ist für den SEV und jede andere Organisation mindestens genauso wichtig wie die Gewinnung von Neumitgliedern. «Mitgliederbindung ist immer eine Frage von Zufriedenheit», sagt Weng-Bornholt. «Zufrieden ist man, wenn die erlebte Realität den Erwartungen entspricht. Man muss sich also mehr Gedanken darüber machen, was die Mitglieder eigentlich von einem erwarten.» Ein Beispiel dafür, wie wichtig das ist, zeigt das Problem der Pensionierten. Viele Mitglieder aus aktiven SBB-Sektionen treten direkt mit der Pensionierung aus dem SEV aus, anstatt in den Pensionierten-Verband überzutreten. Ein Grund dafür kann sein, dass sie als Pensionierte plötzlich andere Erwartungen an den SEV haben und den weiteren Nutzen einer Mitgliedschaft nicht sehen.

«Auch hier steht und fällt alles mit der Kommunikation», erklärt Weng-Bornholt. «Egal, ob beim Neueintritt oder beim Übertritt in eine Pensionierten-Sektion – die Leute müssen wissen, was sie erwartet, und der SEV muss ihre Erwartungen kennen. Sonst ist die Enttäuschung vorprogrammiert. Nehmt zum Beispiel den Aktienkurs von Starbucks im Jahr 2016. Das Unternehmen hat Gewinn gemacht, viel Gewinn sogar, aber etwas weniger als erwartet. Deshalb ist der Aktienkurs eingebrochen.»

Input 3: Mitgliedergewinnung

Auch bei der Gewinnung von Neumitgliedern spielen die Erwartungen eine zentrale Rolle, wie Dr. Tania Weng-Bornholt erklärt: «Die Erwartungen von potenziellen Mitgliedern decken sich nicht komplett mit jenen der bestehenden Mitglieder. Wenn ich Noch-nicht-Mitglieder für den SEV gewinnen will, dann wende ich mich an eine völlig andere Zielgruppe, als wenn ich mit meinen Mitgliedern spreche.» Jetzt, da die Generation der «Baby-Boomer» langsam in Pension geht, haben wir gar keine Wahl mehr: Wir müssen die Jungen ins Boot holen.

«Um die Jungen zu motivieren, braucht es Junge, die ihrerseits andere anwerben – Peer to Peer», meint Weng-Bornholt, «denn nur sie kennen die Erwartungen ihrer Gleichaltrigen und verstehen sie dadurch viel besser. Ach, und wer von euch nutzt eigentlich Snapchat?», fragt Weng-Bornholt mit einem verschmitzten Lächeln in die Runde, um ihre These zu beweisen. Von den dreissig Teilnehmenden outet sich, nebst der Referentin selbst, nur eine einzige Snapchat-Userin. Das alles soll natürlich nicht heissen, dass nur Junge andere Junge anwerben können. Aber es zeigt auf, dass wir die Jungen brauchen, wenn wir die Zukunft unserer Gewerkschaft langfristig sichern wollen.

Also müssen wir unsere Kultur den Jungen anpassen, ob es uns gefällt oder nicht. Laut Weng-Bornholt lautet die entscheidende Frage: «Wollen wir eine Kultur pflegen, die an diejenigen angepasst ist, die bereits Mitglieder sind, oder wollen wir kulturelle Veränderungen vornehmen, um auch alle anderen anzusprechen?» Zu solchen Veränderungen hat die Referentin auch konkrete Vorschläge auf Lager: «Denkt digital! Denkt daran, dass heute alle ein Smartphone in der Tasche haben.»

Denn die Gewerkschaft wird nicht mehr wie früher nur durch den Austausch «von Angesicht zu Angesicht» geprägt. Nein, ihre Wahrnehmung spielt sich auch online ab, wie zum Beispiel in sozialen Netzwerken. «Denkt immer an die sechs teuersten Worte jeder Organisation: Das haben wir immer so gemacht.»

Karin Taglang

Das sagen die Teilnehmenden:

Edith Graf-Litscher, SEV-Gewerkschaftssekretärin

«Für mich ist Werbung die Sicherstellung der Zukunft des SEV. Heute hoffe ich auf neue Ideen, wie wir dies anstellen sollen.»

Cyril Papadakis, Auszubildender RPV Basel

«Durch Werbung erhoffe ich mir die Stärkung der Gewerkschaft, denn ich als Junger will meine Zukunft selber mitbestimmen und beeinflussen können.»

Daniel Purtschert, RPV Zürich

«Für mich geht es bei der Werbung darum, Temporärmitarbeitende in den SEV zu bringen, und ich versuche auch mehr Frauen zu motivieren.»

Roman Gugger, SEV-Gewerkschaftssekretär

«Heute möchte ich von einer erfahrenen Person Inputs erhalten und hoffe, dass wir von den Erfahrungen anderer Organisationen etwas lernen.»

Elena Obreschkow, SEV-Werbeverantwortliche

«Der heutige Tag bietet eine Horizonterweiterung für unsere Bemühungen, den SEV zu stärken, denn die Werbung ist eine wichtige Aufgabe aller.»

Cyril Papadakis, Auszubildender RPV Basel

«Durch Werbung erhoffe ich mir die Stärkung der Gewerkschaft, denn ich als Junger will meine Zukunft selber mitbestimmen und beeinflussen können.»

Kommentare

  • Bellinda Bärtch

    Bellinda Bärtch 08/04/2017 10:50:02

    Dann nächster Schritt - SEV auf Twitter und dann SEV auf ....