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Der Schweizerische Gewerkschaftsbund unterstützt die «Altersvorsorge 2020»

Klares Ja für die Stärkung der AHV

Mit 98 zu 21 Stimmen bei einer Enthaltung hiessen die SGB-Delegierten am 24. März die «Altersvorsorge 2020» klar gut und empfehlen den Arbeitnehmenden ein Ja bei der Volksabstimmung am 24. September – trotz der Erhöhung des Rentenalters der Frauen von 64 auf 65. Denn die Vorteile der Reform, vor allem die Stärkung der AHV, machten diese «Kröte» wett – auch für die Frauen.

Nach der über zweistündigen engagierten und alle Aspekte umfassenden Debatte resultierte ein klares Mehr von 5:1 für die «Altersvorsorge 2020».

Neben den 120 Delegierten hatte der SGB am 24. März auch die Medien ins Hotel Ador in Bern geladen, die Debatte über die Rentenreform mitzuverfolgen. Einleitend durften eine Befürworterin und ein Gegner je 10 Minuten sprechen.

Mehr AHV und Besserstellung der Teilzeitarbeitenden in der 2. Säule

Die für die Sozialversicherungen zuständige SGB-Zentralsekretärin Doris Bianchi legte dar, warum die Reform trotz der Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 und der Senkung des Umwandlungssatzes in der beruflichen Vorsorge von 6,8 auf 6% mehr Vor- als Nachteile bringt: Zusätzliche 840 Franken AHV-Rente pro Jahr für Alleinstehende oder bis zu 2712 Franken für Ehepaare verbessern die Renten bei tiefem Einkommen spürbar – vor allem für die rund 500000 erwerbstätigen Frauen, die nur in der AHV versichert sind, und für die vielen Frauen mit kleinen Pensionskassenrenten.

Zudem wird in der beruflichen Vorsorge der Koordinationsabzug gesenkt, womit die Arbeitgeber neu schon ab einem kleineren Lohn Pensionskassenbeiträge bezahlen müssen. Dies bringt vielen Teilzeitarbeitenden, also vor allem Frauen, eine höhere oder überhaupt erstmals eine Pensionskassenrente. «Beide Massnahmen zusammen führen bei tiefen Einkommen, vor allem bei jüngeren Frauen, zu weit über 10% mehr Renteneinkommen», hielt Bianchi fest. Etwa für eine Coiffeuse mit Jahrgang 1978 und 35 000 Franken Jahreseinkommen steige die Pensionskassenrente von 365 auf 594 Franken. Der tiefere Umwandlungssatz werde für alle kompensiert, u. a. dank einem Besitzstand für die Über-45-Jährigen.

Ein Fortschritt sei auch die Senkung der Rentenkürzung von heute 6,8 auf 4,1 %, wenn man ein Jahr vorzeitig in Rente geht, betonte Bianchi. Bei AHV-Renten bis 1700 Franken gleiche der Rentenzuschlag von 70 Franken diese gesenkte Rentenkürzung aus. «Somit können viele Frauen weiterhin mit 64 in Rente gehen, ohne dass ihre AHV-Rente gegenüber heute sinkt.»

Vor allem sichert die Reform die Finanzierung der AHV bis 2030, und damit auch die regelmässige Anpassung der Renten – mitsamt dem Zuschlag von 70 Franken – an Teuerung und Lohnentwicklung (Mischindex).

Weiter verpflichtet die Reform die Pensionskassen neu, Versicherte, die ihre Stelle verlieren, ab Alter 58 in der Kasse zu behalten bis zur Pensionierung, sodass sie trotzdem eine Rente erhalten und nicht nur ihr Freizügigkeitskapital, das sie heute oft schon vor der Pensionierung anbrauchen müssen.

«Sieg der Arbeitgeber»

Für Agostino Soldini, VPOD-Zentralsekretär in Lausanne, dagegen ist ein höheres Frauenrentenalter inakzeptabel. «Dies ist der Kern der Reform, den andere Pluspunkte nicht wettmachen können, und ein historischer Sieg für die Arbeitgeber». Denn damit sei die Tür offen für weitere Erhöhungen des Rentenalters für alle. «Bei der durchschnittlichen AHV-Rente von 2000 Franken im Monat bzw. 24000 Franken im Jahr muss eine Frau 94-jährig werden, bis sie diesen Verlust durch die 70 Franken mehr AHV-Rente wieder zurückerhält», fuhr Soldini fort.«Das höhere Rentenalter fördert auch die Arbeitslosigkeit. Und den bisherigen Pensionierten bringt die Reform keinen Rappen, sondern schwächt ihre Kaufkraft sogar, indem sie die unsoziale Mehrwertsteuer erhöht.»

Verständliche Wut der Frauen

Spruchbandaktion während dem Votum von Michela Bovolenta, 2. von links hinten.

Danach war das Mikrofon offen für dreiminütige Wortmeldungen. Rund 30 Redner/innen sagten in einer engagierten Debatte eigentlich alles, was zu sagen war. Je etwa die Hälfte plädierte für und gegen die Reform, wobei die Gegner/innen fast alle aus der Romandie kamen. Sie brachten die berechtigte Wut der Frauen deutlich zum Ausdruck: Heute, wo die Frauen bei Lohn und Renten immer noch benachteiligt sind, sei es nicht an ihnen, Opfer zu bringen, sagte zum Beispiel die Verkäuferin Marisa Pralong, Unia Genf. «Auch mit dem Bonus von 70 Franken reicht eine AHV-Rente von 1600 Franken nicht zum Leben», unterstrich Michela Bovolenta vom VPOD Waadt, während Kolleginnen ein Spruchband zeigten mit der Aufschrift: «Lasst uns die Renten erhöhen, nicht das Rentenalter!»

Rachid El Khattabi von der Unia Waadt warf dem SGB-Vorstand sogar vor, er missachte mit seinem Ja zur Reform Mandate früherer Kongresse, die den Kampf gegen Rentenaltererhöhungen und für bessere Renten verlangten. Der Vorstand habe sich von der SP und ihrem Sozialminister Berset für dessen Paket einspannen lassen.

Diesen Vorwurf wies Vania Alleva, SGB-Vizepräsidentin und Unia-Präsidentin, zurück: Natürlich freue das höhere Rentenalter niemanden. Trotzdem hätten die Unia-Delegierten Ja gesagt zur Reform, weil sie die AHV stärke. «Auch das war ein Kongressmandat. Diese 70 Franken, diese rund 5% mehr Rente sind nicht nichts, sondern wichtig für alle tiefen und mittleren Einkommen und nicht vom Himmel gefallen!» Weitere Befürworter wie die Unia-Vizepräsidenten Aldo Ferrari und Corrado Pardini betonten, dass sich die Arbeitgeber und die Finanzindustrie und ihre Vertreter im Parlament bis zuletzt dagegen wehrten, mehr in die AHV statt in die Pensionskassen, «diese Sanierungsfälle», zu investieren. «Das ist ein Paradigmenwechsel», sagte Pardini. «Es ist vorbei mit der Aushungerung der AHV!»

«Historischer Entscheid»

«Die Rentenreform bringt eine Gewichtsverlagerung von den Pensionskassen zur AHV, für die wir seit Jahren kämpfen», sagt Giorgio Tuti, Präsident SEV und Vizepräsident SGB.

Auch Maria Bernasconi, Präsidentin des Personalverbandes des Bundes, sieht darin einen «historischen strategischen Entscheid, den die Linke unbedingt durchbringen muss. Dann ist die Zukunft der Altersvorsorge immerhin hellrot, sonst ist sie schwarz! Darum bin ich für die Reform trotz Frauenrentenalter 65, auch wenn es mir Bauchschmerzen macht!»

«Ich bin ebenfalls von der Basis und doch für die Reform», sagte Ursula Mattmann von den Unia-Frauen. «Man kann das Argument auch umdrehen: Wenn wir gleich lang arbeiten müssen, muss unser Lohn erst recht gleich sein!» In diese Richtung zielt eine Unia-Resolution, die eine Volksinitiative für die Lohngleichheit prüfen will. Die Delegierten genehmigten nach der Rentenreform auch diese Resolution mit dem Zusatz, neben der Initiative auch eine massive Gewerkschaftskampagne für gleiche Löhne zu prüfen.

Markus Fischer

Stimmen aus der SEV-Delegation: «Nun gilt es die Basis zu überzeugen»

Die acht SEV-Delegierten stimmten für die Rentenreform, und zwei setzten sich dafür auch als Redner ein.

Roland Schwager
«Bei den bisherigen Pensionierten ist die Meinung zur Reform geteilt», sagte Roland Schwager, Präsident des Unterverbands der Pensionierten (PV), «weil sie keinen Zuschlag zur AHV-Rente erhalten.» Das sei politisch eben nicht durchsetzbar gewesen: Die AHVplus-Initiative, die genau dies forderte, wurde im Herbst abgelehnt. «Den Pensionierten ist aber bewusst, dass die künftigen Rentner/innen auf den AHV-Rentenzuschlag angewiesen sind wegen der sinkenden Umwandlungssätze der Pensionskassen. Für die bisherigen Pensionierten ist die Rentenreform ebenfalls wichtig, weil sie die Finanzierung der AHV bis 2030 sichert, und damit die Renten und deren Anpassung an die Teuerung und die Lohnentwicklung.» Dies dank dem Mischindex, den der Bundesrat anfänglich streichen wollte …

Gilbert D'Alessandro
VPT-Zentralpräsident Gilbert D’Alessandro sagte vor den Delegierten: «Mich stören Werturteile gegen linke Politiker und Gewerkschafter/innen, die sich für die Arbeitnehmenden einsetzen und dabei zu Kompromissen bereit sind. Das ist manchmal einfach nötig, man kann nicht immer gewinnen.» Gegenüber kontakt.sev erklärte er nach der Debatte: «Es war ein schwieriger Entscheid zwischen Pest und Cholera. Das höhere Rentenalter für die Frauen stört mich sehr. Doch mit der Reform können wir immerhin auf eine Genesung hoffen, weil die Reform ein erster Schritt ist zum Ausbau der AHV. Das ist ja, was wir Linken wollen. Dogmatik hilft uns nicht weiter, und der Graben zwischen der Romandie und der deutschen Schweiz in der Gewerkschaftsbewegung bereitet mir grosse Sorgen! Doch wenn eine VPT-Sektion das Referendum unterstützen will, kann und will ich sie nicht daran hindern. Der SEV ist eine basisdemokratische Organisation.»

Janine Truttmann
Janine Truttmann vertrat in der SEV-Delegation die Frauenkommission SEV, die trotz der Rentenaltererhöhung die Ja-Parole zur Reform beschloss. «Die 70 Franken mehr AHV sind für die Frauen nicht nichts! Die Stärkung der AHV ist wichtig, darum hätte ich eigentlich weniger Neinstimmen erwartet. Jetzt müssen wir geschlossen für diese Rentenreform kämpfen, und nicht mit der Rechten dagegen stimmen. Denn wenn die Reform abgelehnt wird, wird es auch für die Frauen nicht besser!»


Peter Käppler
Peter Käppler, Zentralpräsident des Unterverbands AS, sieht in der Stärkung der AHV ebenfalls den Kern der Reform. «Deshalb müssen wir sie akzeptieren trotz des höheren Rentenalters für die Frauen, das von uns niemand wollte und sehr ärgerlich ist. Wir Gewerkschaften stimmen aber oft auch GAV zu, in denen uns etwas nicht gefällt, wenn sie unseren Mitgliedern insgesamt mehr Vorteile als Nachteile bringen.»

 

Beat Jurt
«Die Reform ist ein zweischneidiges Schwert, doch weil sie die AHV stärkt, überwiegt das Positive», sagt Beat Jurt vom Unterverband TS. «Davon gilt es nun die Basis zu überzeugen. Ich bin mir nicht so sicher, ob die Delegierten, die dagegen waren, mit ihrer Basis wirklich Rücksprache genommen haben. Und natürlich müssen wir neben dieser Reform weiterkämpfen, damit die Löhne und die Altersvorsorge für alle besser und gerechter werden!» 

Fi

Referendum kommt

Nach der SGB-Delegiertenversammlung gründeten Westschweizer Orga- nisationen in Bern ein Referendumskomitee gegen die Rentenreform. Dazu gehören die VPOD-Sektionen Waadt und Genf, der Gewerkschaftsbund Waadt, die Genfer Gewerkschafts-Dachorganisation CGAS sowie die Organisationen SolidaritéS, Mouvement Populaire des Familles und Avivo (für Pensionierte) und die Partei der Arbeit.

Kommentare

  • Aegerter Beat - Paul

    Aegerter Beat - Paul 06/04/2017 14:29:24

    Sehr geehrte Damen und Herren

    Bei der AHV Iniative stimme ich nein! Diese bringt uns Rentner nichts!!!!!!
    Das einzige was allen nützen würde wäre: Die Einnahme von Rente und Pensionskasse zusammengezählt, müssen beim Bund und in allen Kantonen nur noch zu 50% versteuert werden. Plafonierung bei 85'000.- Fr. Alle andern Einnahmen zu 100%.
    Diese Variante wäre die beste Lösung für uns alle!

    Mit freundlichen Grüssen

    Beat Aegerter

  • Huber Medard

    Huber Medard 07/04/2017 12:57:05

    Geschätzte Kolleginnen und Kollegen.
    Klares Nein für die Stärkung der AHV. Mit der Rentenerhöhung von 70 Franken für Neurentner ,(Die Herren Ständeräte ,Nationalräte ,Delegierten schaffen Ihnen eine bessere Rente.) Wird eine Zweiklassengesellschaft in der AHV geschaffen. Die derzeitigen Rentner haben nichts davon , müssen aber über die Mehrwertsteuer dafür bezahlen. Danke Liebe SEV.
    Freundliche Grüsse
    Huber Medard

  • Wettstein Urs

    Wettstein Urs 14/09/2017 06:42:39

    Bei der neuen AHV Reform hat es sicher Vor und Nachteile. Es handelt sich da um einen Kompromiss um die Altersvorsorge in Zukunft zu sichern.
    Was sicher ist. Bei einem Nein wird die nächste Revision sicher nicht besser sondern eher schlechter. Dass dann das Alter für die AHV auf 67 erhöht würde ist dann ganz sicher. Das Ziel der Bürgerlichen ist nicht die AHV zu sichern sondern zum Vorteil der Wirtschaft zu verschlechtern. So wäre ein Nein ein grosser Sieg für die bürgerliche Parteien. Das müssen wir klar sehen. Darum ist ein Ja für eine Soziale Sicherheit für die Zukunft sehr wichtig.