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Beratung der Altersreform 2020 in der entscheidenden Phase

AHV-Kompromiss des Ständerats auf dem Prüfstand

In der laufenden Session behandeln National- und Ständerat die Altersreform 2020 abschliessend. Aus Sicht der Arbeitnehmenden ist klar: Die Pläne der rechten Nationalratsmehrheit sind untauglich. Aber wie sieht es mit dem Kompromissvorschlag des Ständerats aus? Doris Bianchi, die beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) für die Sozialversicherungen zuständig ist, nimmt Stellung.

Hoffen auf den Sieg der Vernunft: Die Einigungskonferenz und die Schlussabstimmung werden zeigen, ob SVP, FDP & Co. etwas gelernt haben aus den Rentenabstimmungen von 2004 und 2010.

Viele Arbeitnehmende machen sich grosse Sorgen um ihre künftige Altersrente. Für ihr Unbehagen gibt es viele Gründe.

So werden die Probleme der über die Finanzmärkte finanzierten Pensionskassen immer offensichtlicher. Die Renten sinken, gleichzeitig steigen die Beiträge und das reglementarische Rentenalter. Das bedeutet im Klartext: Für immer mehr Geld bekommt man immer weniger Leistung.

Obwohl die AHV-Renten im effizienten und gerechten Umlageverfahren finanziert sind, stehen auch sie unter Druck. Unter politischem Druck von rechts. Zum einen hinken sie den Lebenshaltungskosten hinterher und decken einen immer kleineren Teil des letzten Lohns ab. Zum anderen gibt die AHV seit Kurzem mehr aus, als sie einnimmt. Der Bundesrat wollte deswegen sogar die Anpassung der Renten an die Lohn- und Preisentwicklung (Mischindex) streichen.

Frauen besonders betroffen

Besonders hart treffen diese Trends Frauen. Denn sie stehen in Sachen Altersvorsorge schlechter da als die Männer, weil sie in den Pensionskassen benachteiligt werden. Im Mittel sind ihre PK-Renten 63 Prozent tiefer als jene der Männer. Grund dafür ist, dass das Gros der Frauen Teilzeit arbeitet und deshalb nur ein kleiner Teil des Lohns versichert werden kann oder überhaupt nicht versichert ist. Letzteres trifft heute auf 500 000 erwerbstätige Frauen zu.

Sorgen bereitet die Pensionierung vor allem auch älteren Arbeitslosen. Denn wer vor dem Erreichen des Rentenalters seine Stelle verliert, hat im Alter keinen Rentenanspruch aus der Pensionskasse mehr. Stellenlose müssen ihr Altersvorsorgegeld aus der Pensionskasse als Kapital beziehen. Und leider sind zahlreiche lokale Behörden dazu übergegangen, ältere Arbeitslose dazu zu zwingen, zuerst ihr Alterskapital zu verbrauchen, bevor staatliche Unterstützung an die Lebenshaltungskosten geleistet wird. Das ist amtlich verordnete Altersarmut und demütigend für Menschen, die unfreiwillig nicht mehr arbeiten dürfen.

Nationalrat arbeitet auf Abbruch

Anstatt diese Sorgen ernst zu nehmen und Lösungen vorzuschlagen, wollen die Arbeitgeber und ihre Gehilfen im Nationalrat (SVP, FDP, GLP) die Situation weiter verschlechtern. Sie wollen das sinkende Rentenniveau einzig über einen starken Ausbau der kränkelnden zweiten Säule ausgleichen. Dafür haben sie zurzeit im Nationalrat eine Mehrheit. Gerade die tieferen Einkommen müssten so massiv mehr Beiträge leisten.

Setzen sich im Parlament die Versicherer und Banker durch mit ihrer egoistischen Forderung, die Umwandlungssatzsenkung allein in der 2. Säule zu kompensieren?

Vor allem wollen die Rechten aber das Rentenalter generell auf 67 Jahre erhöhen. Das ist auch deswegen unsinnig, weil Arbeitnehmende ab 50 bereits heute Mühe auf dem Arbeitsmarkt haben. Und sie wollen die Witwen- und Kinderrenten in der AHV streichen.

Der Kompromiss des Ständerats

Anders sieht es im Ständerat aus. Auch der Ständeratskompromiss mutet insbesondere den Frauen viel zu. Das Rentenalter auf 65 Jahre anzuheben ist ein harter Abbau und eine dicke Kröte, die nur zu schlucken sein wird, wenn die Rentenaltererhöhung für Frauen im Rahmen einer Vorlage erfolgt, in deren Gesamtausgestaltung die positiven Punkte überwiegen.

Ist das so? Schauen wir uns den Ständeratskompromiss in zentralen Punkten einmal genauer an:

Rentenniveau: Das Niveau der Renten wird trotz der schmerzhaften Senkung des Umwandlungssatzes für Pensionskassen von 6,8 auf 6 Prozent stabilisiert. Die Ausfälle werden aber nicht einzig in der zweiten Säule kompensiert. Zur Abfederung der sinkenden BVG-Renten werden auch die AHV-Renten für Einzelpersonen um jährlich 840 Franken und für Ehepaare um bis zu 2712 Franken erhöht. Das bringt zum ersten Mal seit 40 Jahren wieder eine Verbesserung der AHV-Renten über den Teuerungsausgleich hinaus und verkleinert damit den Rückstand der Renten zu den Löhnen.

Entscheidend sind die höheren AHV-Renten vor allem für Frauen. Die Leistungseinbusse, die sie über das höhere Rentenalter erleiden, wird dank der AHV-Erhöhung weitgehend abgefedert.

Eine willkommene Verbesserung des Renteneinkommens sind die höheren AHV-Renten insbesondere für die 500 000 erwerbstätigen Frauen, die heute nicht im BVG versichert sind. Ohne dass sie dafür jahrzehntelang Kapital ansparen müssen, steigt ihr Renteneinkommen dank der AHV.

Deckungslücken in der Pensionskasse: Teilzeitarbeitende erhalten einen besseren Versicherungsschutz. Wer wenig verdient, soll künftig eine bessere Pensionskassenrente erhalten. Dafür müssen die Versicherten mehr Beiträge bezahlen, aber die Arbeitgeber auch. Davon profitieren vor allem Frauen. Das ist ein wichtiger Fortschritt, und wird den Rentenunterschied zwischen Frauen und Männern senken.

Ältere Arbeitnehmende: Für Arbeitnehmende, die beim Inkrafttreten der Revision über 50 Jahre alt sind, bleibt das Rentenniveau auf jenem des Umwandlungssatzes von 6,8 Prozent. Das heisst: Sie haben eine sogenannte Besitzstandgarantie.

Ältere Arbeitslose: Ältere Arbeitnehmende, die ihre Stelle verlieren und keine mehr finden, werden heute faktisch gezwungen, ihr Pensionskassenguthaben als Kapital zu beziehen. Behörden können Betroffene dazu zwingen, vor dem Bezug von Sozialhilfe das Altersguthaben aufzubrauchen. Das ist unsinnig und produziert Altersarmut. Der Ständeratskompromiss verpflichtet die Pensionskassen, Arbeitslose ab 58 Jahren bis zum Rentenalter weiter zu versichern, auch ohne dass der/die arbeitslose Versicherte weiter Beiträge bezahlt.

Teilpensionierungen: In vielen Berufen ist die Arbeitsbelastung sehr hoch. Viele ältere Arbeitnehmende möchten deshalb ihr Pensum reduzieren und schrittweise in Pension gehen, oder sie müssen es gar aus gesundheitlichen Gründen tun. Weil AHV-Renten und die Renten vieler Pensionskassen nur komplett bezogen werden können, sind Teilpensionierungen heute aber nur für Arbeitnehmende möglich, die über ausreichende private finanzielle Mittel verfügen. Mit der Revision können Teilrenten von AHV und Pensionskasse ab 62 Jahren mit einer reduzierten Erwerbstätigkeit kombiniert werden.

Finanzierung: In den kommenden Jahren gehen die sogenannten Babyboomer in Pension. Das wirkt sich vorübergehend auf die AHV-Finanzen aus. Ohne zusätzliches Geld steigen die Defizite. Das heisst: Die Beiträge decken die Rentenauszahlungen nicht. Deshalb soll ein Prozent mehr Mehrwertsteuer in die AHV fliessen. Davon spüren die Konsumentinnen und Konsumenten nur 0,7 Prozent direkt, da ab 2018 die auslaufende IV-Zusatzfinanzierung von 0,3 Prozent in die AHV umgeleitet wird. Diese Finanzierung über die Mehrwertsteuer stabilisiert die AHV bis ins Jahr 2030. Von einer stabilen AHV-Finanzierung profitieren insbesondere die heutigen Rentnerinnen und Rentner. Ihre Renten sind so gesichert. Die Forderung nach der Streichung der automatischen Anpassung der AHV-Rente an die Teuerung ist dank der Zusatzfinanzierung erfolgreich abgewehrt.

Werden die Rechten doch noch vernünftig?

In der laufenden Session wird sich zeigen, ob SVP, FDP & Co. etwas gelernt haben aus den Rentenabstimmungen von 2004 und 2010. Damals sagte das Volk jeweils klar Nein zu nicht sozialverträglichen Abbauvorlagen. In den ersten Debatten schaltete die Mehrheit im Nationalrat noch auf stur und beharrte auf einer reinen Abbauvorlage, die zudem Arbeitnehmer und Arbeitgeber trotz weniger Leistungen viel teurer kommen würde.

Für die Gewerkschaften ist ganz klar: Sollte sich der Nationalrat mit seiner teuren und unsozialen Version der Reform durchsetzen, ist das Referendum unausweichlich. Nur der Kompromiss des Ständerats ist in der Lage, die Probleme in der Altersvorsorge im Sinne der Arbeitnehmenden zu lösen. Entscheiden, ob die diversen Vorteile der Reform den Rückschritt des höheren Rentenalters für die Frauen aufzuheben vermögen, werden die Delegierten des SGB kurz nach Sessionsende am 24. März.

Doris Bianchi, SGB-Zentralsekretärin, zuständig für die Sozialversicherungen

Auf einen Blick: Das bringt der Kompromiss des Ständerats

Massnahme Bewertung
Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65.

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Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent.
Aber: Die Rentenverluste sind kompensiert, dank
  • einer Erhöhung der AHV-Renten für Alleinstehende um 840 Fr./Jahr und für Ehepaare um 2712 Fr./Jahr. Für die Frauen ist das auch eine Kompensation für die Leistungseinbusse, die sie wegen dem höheren Rentenalter erleiden.
  • der Besitzstandgarantie für die Über-50-Jährigen. Damit wird das beim Mindestumwandlungssatz 6,8% geltende Rentenniveau gesichert und das Renteneinkommen um mindestens 840 Franken erhöht.

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Bessere Pensionskassenrenten für Teilzeitarbeitende

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Neu: Rentenanspruch auch bei Stellenverlust im Alter

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AHV-Finanzen sind bis 2030 gesichert, dank
  • einer Milliarde Franken aus der Mehrwertsteuer, die neu statt in die IV in die AHV fliesst, ohne dass die Konsumentinnen und Konsumenten deswegen mehr Mehrwertsteuer bezahlen müssen;
  • der schrittweisen Anhebung der MwSt. um 0,7% bis 2025;
  • der stärkeren Beteiligung des Bundes an der AHV-Finanzierung.

 

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Teilpensionierung werden erleichtert, Pensionierungen ab 60 bleiben möglich.

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Die automatische Anpassung der AHV-Renten an die Teuerung wird verteidigt.

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Witwen- und Kinderrenten werden verteidigt.

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Das Tabu der AHV-Rentenerhöhung wird gebrochen.

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Das Tabu der Lohnbeitragserhöhung für die AHV wird gebrochen.

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Die Forderung nach Rentenalter 67 ist für längere Zeit vom Tisch,
da die AHV bis 2030 stabil finanziert ist.

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Und die heutigen Rentnerinnen und Rentner?

Viele bereits Pensionierte finden: Auch unsere AHV-Renten sollten erhöht werden. Die Rentenentwicklung hinkt der Lohn- und Preisentwicklung hinterher. Sie haben recht.

Aber der im Ständeratskompromiss vorgeschlagene AHV-Zuschlag ist die Kompensation für die sinkenden Pensionskassen. Wer heute schon eine Rente bezieht, ist von der Senkung des Umwandlungssatzes glücklicherweise nicht betroffen.

Trotzdem bringt der Ständeratskompromiss auch den heutigen Rentnerinnen und Rentnern etwas: Alle ursprünglich geplanten Verschlechterungen konnten abgewehrt werden. Der Bundesrat wollte den garantierten Teuerungsausgleich (Mischindex) der AHV-Renten aussetzen und die Witwenrenten kürzen. Wichtig ist für die heutige Rentnergeneration insbesondere, dass die AHV-Finanzierung bis ins Jahr 2030 gesichert wird. Nicht zuletzt ist der AHV-Zuschlag für Neurentnerinnen und Neurentner ein Tabubruch. Das eröffnet Perspektiven für künftige Reformen des Rentensystems.

DB

Kommentare

  • urs benz

    urs benz 09/03/2017 17:50:16

    Die Renten sollten wieder zu 80 Prozent versteuert werden.
    Eigenmietwertversteuerung aufheben anstelle Schuldzinsabzug.

  • Genet Jacques

    Genet Jacques 10/03/2017 14:31:49

    pouvez-vous m'expliquer pourquoi vous parlez du taux de conversion de 6,8 à 6 % alors que la caisse de Pension CFF donne du 5,20 %.
    Merci.
    Salutations.

  • Martinez Jose Luis

    Martinez Jose Luis 22/03/2017 15:30:52

    Quand allez vous faire quelque Chose pour faire tenir compte de la pénibilité, plus de 20 années d'horaire irréguliers, devraient peser dans la Balance, pour pouvoir partir en Retraite avant 65 ans ! Déjà, plus de côtisations en heures de nuit et du Dimanche, inadmissible qu'un syndicat ne se batte pas, pour faire valoir certains droits, qui sont admis dans d'autres branches, qui ne font que occasinnellement des horaires irréguliers.
    On dirait que tout est fait, pour que les gens n'arrivent pas à la toucher cette Retraite, pourtant dix fois méritée !!