Welche Perspektive hat das Verkaufspersonal?

Automaten statt Menschen – die Zukunft des Verkaufs?

Beim Verkauf werde es einen Abbau von 220 Stellen geben, wurde bei der Vorstellung des Projekts «Railfit20/30» gesagt. Auch wenn Jeannine Pilloud inzwischen offenbar davon ausgeht, 2020 werde es nicht weniger Stellen als heute geben, ist die Verunsicherung gross. Steuern wir auf eine Zukunft zu, in der das umsichtige, kompetente und hilfsbereite Schalterpersonal durch Automaten ersetzt ist?

Verlassene Schalter: Das will weder die Kundschaft noch das Personal.

Wo gespart wird, wird fast immer bei den Personalkosten gespart. Und wo das Personal abgebaut wird, wird der Service abgebaut. Das heisst: Der Service public leidet.

Die Öffnungszeiten der Schalter in den grossen Bahnhöfen werden eingeschränkt. Die Zahl der geöffneten Schalter wird gesenkt. Kleinere Stationen werden geschlossen und zu unbedienten Haltestellen degradiert. Zwar lässt die SBB noch offen, ob weitere Schalter geschlossen werden sollen, VöV-Direktor Ueli Stückelberger aber spricht offen von weiteren Schalterschliessungen – «weil das Kundenbedürfnis zurückgegangen ist». Von den 276 bedienten «Verkaufspunkten» der SBB im Jahr 2004 sind bis 2015 genau hundert geschlossen worden. Und Verkaufsstellen, die durch Dritte (Stationshalter, Migrolino, Post, Valora) geführt werden, soll es ab dem 1. Januar 2018 nicht mehr geben, wenn es nach dem Willen der Konzernleitung der SBB geht. Der Anteil des Verkaufs durch diese Stellen sei «kontinuierlich gesunken und liegt deutlich unter einem Prozent», schreibt sie. Was sie nicht schreibt: Dass sie aktiv zu dieser Entwicklung beigetragen hat, indem sie den Kommissionsertrag der Dritten gesenkt und deren Verkauf damit immer weniger attraktiv gemacht hat – obschon etwa die Stationshalter echte «Überzeugungstäter» und die besten Botschafter der Bahn waren. Und warum will die Bahn auf den Goodwill verzichten, wenn es doch nur um einen unbedeutend kleinen Umsatzanteil geht?

Zweite Zusammenkunft

Dies war die wenig erbauliche Ausgangslage der zweiten «Tagung des Verkaufspersonals», deren zentrales Thema die Frage war: «Welchen Platz hat das Verkaufspersonal in der Strategie der SBB?» An der Tagung teilgenommen hat eine eindrückliche Zahl von Männern und Frauen, älteren und jüngeren Kolleg/innen, denen die Entwicklung im Verkauf nicht gleichgültig ist. In Gruppen diskutierten sie darüber, welche Zukunft der Verkauf und die Präsenz in der Fläche bei der SBB haben, wie die Zukunft des Berufsbilds aussieht, welche Anforderungen an die Ausbildung und Weiterentwicklung des Verkaufspersonals gestellt werden müssen und von welchen gesundheitlichen Problemen es betroffen ist.

Physischer und psychischer Druck steigt

Gerade beim letzten Aspekt zeigen sich zunehmende Schwierigkeiten: Die Arbeitsbelastung steigt, die Arbeitsumstände verschlechtern sich. Der Stress nimmt zu, fragwürdige Aktionen wie die «Rückmeldekasten» in Genf tragen dazu bei. Das Verkaufspersonal macht einen guten Job – das zeigt nicht zuletzt der Rückhalt, den es in der Bevölkerung geniesst. Der VCS hat für seine Petition innert kurzer Zeit 12000 Unterschriften gesammelt (siehe Kasten).

Prominent besetztes Podium

Manuel Avallone: «Die SBB muss zeigen, dass die vorgesehenen Massnahmen kein Abbau sind. Denn in den Papieren ist der Abbau festgeschrieben, auch im Verkauf!»

Die von den Vertreter/innen des Verkaufspersonals aufgeworfenen Fragen diskutierten unter der Leitung von HWZ-Dozentin Marina Villa Jeannine Pilloud, Leiterin SBB Personenverkehr, und Manuel Avallone, Vizepräsident SEV.

Pilloud war nicht allein gekommen, sie war in Begleitung von Peter Zeier, Leiter bedienter Verkauf und also der Vorgesetzte der Verkäufer. Obschon Marina Villa einmal erstaunt feststellte: «Es scheint Einigkeit zu herrschen», war die Übereinstimmung nur eine scheinbare. Pilloud bemühte sich, die Befürchtungen des Personals zu zerstreuen, was ihr allerdings nicht immer gelang. Den von Avallone mitgebrachten Radiobeitrag über das Verkaufspersonal, das die Kunden vom Schalter zu den Automaten führen muss, fand sie «etwas hart», «wir drängen die Leute nicht vom Schalter weg», und sie hätte auch nicht sagen wollen, es würden 220 Stellen abgebaut – es brauche auch in Zukunft Leute, bei der Division P «überdurchschnittlich viel». Sie habe an der Tagung viel gelernt, etwa das Wort «Enthumanisierung»…

Obwohl Zeier betonte, das Personal erfahre Neuigkeiten als erste und mit langem Vorlauf, erkannte Pilloud Informations- und Kommunikationsdefizite. Sie betonte die Wichtigkeit der Aus- und Weiterbildung und nahm die Anregung auf, die Clemens Cola, der designierte Präsident der AS-Branche Personenverkehr, gemacht hatte: Funktion muss vor Design kommen, auch bei der Ergonomie seien noch Verbesserungen nötig.

Taten statt Worte

Manuel Avallone verlangte die Erfüllung von Pillouds Versprechungen: «Die SBB muss zeigen, dass die vorgesehenen Massnahmen kein Abbau sind. In den Papieren ist der Abbau festgeschrieben, auch im Verkauf!» Er anerkannte auch die Notwendigkeit der Entwicklung des Berufsbilds und sagte die Unterstützung der Gewerkschaft in diesem Bereich zu.

Resolution überreicht

Ruth Schweizer, Präsidentin Branche P im SEV-AS, zeigte sich befriedigt von der Tagung: «Die SEV-Mitglieder sind nicht rückwärtsgewandt», stellte sie fest. Mit der Überreichung der Resolution (siehe unten) an Pilloud fand die Verkaufstagung ihren Abschluss.

pan.

Resolution

Die Reiseverkäuferinnen und Reiseverkäufer sind aufgrund der unklaren Zukunft zunehmend verunsichert!

Die Verlagerung des Verkaufs hin zu Automaten und E-Kanälen ist für das Verkaufspersonal nachvollziehbar. Es ist zusammen mit dem Zugpersonal das Gesicht der SBB und wichtigster Ansprechpartner für die Kunden. «Unterwegs zu Hause» fühlen sich die Reisenden nur mit motiviertem und zufriedenem Personal.

Das Verkaufspersonal verlangt in der Strategie der SBB seinen Platz und will für die Kundinnen und Kunden auch in der Fläche präsent sein.

Die SEV-Tagung des Verkaufspersonals SBB vom 22. Oktober 2016 in Olten hat die nachfolgende Resolution verabschiedet und fordert darum von der SBB:

  • Die Beratung, der Verkauf und Service-Après-Vente (SAV) muss für die Kunden auch in Zukunft vor Ort und in gleicher Qualität gewährleistet sein. Menschen für Menschen! Auch die Einnahmensicherung darf nicht vernachlässigt werden.
  • Die Teilnehmenden der Verkäu- fertagung fordern eine vorzeitige und transparente Information über die Flächenpräsenz und deren Folgen für das Personal.
  • Aufgrund der Verlagerung des Verkaufs hin zu E-Kanälen muss zwingend ein Systemwandel be- züglich Präsenzbewertung einer Dienststelle erfolgen und darf nicht nur anhand von Umsatzzahlen gemessen werden. Persönliche Beratungsdienstleistungen müssen angemessen gewichtet werden.
  • Aufgrund der Priorisierung auf den SAV werden die Kundenberaterinnen vermehrt zum «Blitzableiter». Darum muss der Gesundheit des Verkaufspersonals verbindlich Sorge getragen werden. Wir fordern Erholungszeit, Sabbatical, Altersentlastung, bereichsübergreifende Einsätze usw. Die ergonomische Umrüstung aller Arbeitsplätze ist schnell zu vollziehen.
  • Die Mitarbeitenden müssen re- gelmässig, umfassend und bedürf- nisgerecht aus- und weitergebildet werden. Dies soll unter dem Aspekt «Menschen für Menschen» und nicht vorwiegend in Form von E-Learning erfolgen.

«Fokussierung auf eigene Vertriebskanäle» im Tessin: Profit statt Integration behinderter Menschen?

Anfang September hat die SBB angekündigt, beim Billettverkauf ab 2018 nicht mehr mit «Dritten» zusammenzuarbeiten. Betroffen ist auch der Schalter einer Vereinigung für die Integration von Menschen mit Behinderung in Giubiasco.

Als Beispiele für «Dritte», die in ihrem Auftrag bisher 52 Partner-Verkaufsstellen betrieben, nennt die SBB in der Medienmitteilung Migrolino, Die Post, Valora und die privaten Stationshalter. Doch im Tessin gehören dazu auch das Tourismusbüro in Airolo, das den dortigen Schalter betreibt, und die Federazione Ticinese Integrazione Andicap (FTIA), die im Bahnhof Giubiasco Billette verkauft und Menschen mit Behinderung eine kaufmännische Ausbildung ermöglicht.

Die SBB spricht von «Fokussierung auf eigene Verkaufskanäle» und begründet diese gleich wie die Schalterschliessungen, die sie mit ihrem Programm Railfit20/30 plant: «Der Anteil dieses Kanals am Gesamtabsatz ist über die letzten Jahre kontinuierlich gesunken (...). Im Gegensatz dazu weisen die elektronischen Vertriebskanäle der SBB (online und mobile) stark wachsende Absatzzahlen auf.» 2015 sei der Absatz über diese beiden elektronischen Kanäle um 40% auf rund 18 Mio. Billette gestiegen.

Das Ei oder das Huhn?

Die Frage, wie weit sie diese Veränderung des Kundenverhaltens durch die Schliessung und Rarmachung von Schaltern selbst mitverursacht und erzwingt, scheint die Bahnmanager nur dann zu interessieren, wenn eine Volksabstimmung den Service-public-Auftrag der SBB zum Thema macht. Und sie scheinen zu vergessen, dass es weiterhin Leute gibt, die für die Beratung und den Kauf gewisser Angebote lieber an den Schalter gehen als in das (noch ungewohnte) Web oder an den Automaten.

Kleine Hoffnung für ein grosses Projekt

Diesen Service bietet in Giubiasco die FTIA mit substanzieller Unterstützung der Gemeinde noch an, indem sie zugleich Menschen mit Behinderung in kaufmännischen Berufen ausbildet. Die SBB aber hält die Schliessung dieses Schalters offensichtlich nur für einen «Kollateralschaden», der in einer Medienmitteilung nicht erwähnt zu werden braucht. Dank 7000 Petitionsunterschriften aus der Bevölkerung gegen die Schalterschliessung (siehe www.ftia.ch) und dank entschiedenem Protest der Gemeinde Giubiasco, die weiterhin an das Projekt glaubt, gibt es noch einen Hoffnungsschimmer: Anfang November ist ein Treffen zwischen SBB, FTIA und der Gemeinde geplant. FTIA-Direktor Marzio Proietti hofft, mit der SBB eine Lösung zu finden, um das seit 15 Jahren mit viel Engagement – auch finanzieller Art – betriebene Projekt weiterführen zu können. «Dabei hat das Wohl der Menschen mit Behinderung immer Vorrang gehabt vor dem Profit.»

Doch die SBB setzt ihre Prioritäten anders.

Pietro Gianolli/Fi

Schwierige Zeiten für das Verkaufspersonal in Genf: Unterbestand und unsichere Zukunft

Beim Verkauf in Genf ist die Situation ziemlich chaotisch: Der Unterbestand hält an, die Massnahmen dagegen sind unbefriedigend und Railfit20/30 gibt zu weiteren Sorgen Anlass.

Die Billettschalter im Genfer Bahnhof sind sehr beliebt, doch das Verkaufspersonal ist wegen dem Unterbestand über-lastet. Pensionierungen, sonstige Abgänge und Krankheiten sind der Grund dafür. Was tun die SBB-Chefs dagegen? Sie halten die Mitarbeitenden dazu an, die Kundschaft an die Automaten zu verweisen, im Hinblick auf die weiter steigenden Passagierzahlen, wie sie sagen… Als weitere Notlösung werden junge Mitarbeitende, die soeben ihre Ausbildung abgeschlossen haben, für ein paar Monate bis bestenfalls ein Jahr angestellt. Diese Neulinge sind bei dem grossen Kundenandrang überfordert und brauchen Unterstützung von den erfahrenen Kolleg/innen, die ihrerseits selbst schon überlastet sind. Darunter leidet die Qualität des Kundenservice.

Warum befristete Anstellungen?

«Die jungen Kolleg/innen sind zwar froh, eine Stelle zu haben, doch warum stellt man sie nur für ein paar Monate an?», fragt sich ein Genfer Kollege. «Es sind jetzt gar viele frisch Ausgebildete bei uns, deren Einarbeitung Zeit beansprucht. Eine längere Anstellung würde doch mehr Sinn machen. Oder hat die Leitung andere Pläne? Will sie nach der Schliessung des Business Points im März und nun der 1.-Klass-Lounge per Ende Jahr auch Schalter schliessen und Stellen streichen? Wir hoffen sehr, dass es nicht so kommt. Das Personal ist deswegen zurzeit sehr besorgt und verunsichert. Wir haben Angst um unsere Stellen und um unseren Lohn.»

Zwar habe die Leitung kürzlich bei einer Sitzung versprochen, dass in Genf kein Stellenabbau geplant sei, fährt der Kollege fort. «Doch im Zusammenhang mit Railfit wird so viel gesagt, dass weiter Zweifel bestehen.» Kurz: Beim Verkauf in Genf scheint eine langfristige Perspektive zu fehlen. Man begnügt sich mit Zwischenlösungen, was den Verdacht weckt, dass ein weiterer, einschneidender Abbau bevorsteht. Aber was genau? Darüber lässt die Leitung die Mitarbeitenden im Zweifel, und das belastet die Stimmung enorm.

Hinzu kommt, dass sich auch das Berufsbild verändert: Die SBB-Verkäufer/innen werden immer mehr zu «Kundenberater/innen». Damit verbunden ist die legitime Frage: Wie wird am Ende dieser Entwicklung ihr Lohn aussehen?

Positiv beurteilt das Genfer Verkaufspersonal dagegen immerhin das neue System nummerierter Tickets, das vor ein paar Monaten eingeführt wurde. «Es ist eine gute Sache für uns, denn es bedeutet weniger Stress», lobt unser Kollege.

Henriette Schaffter/Fi

Infotreffen des SEV zu Railfit in der Deutschschweiz:

2. November 2016, 18.00 Uhr, Zürich, Volkshaus (Grüner Saal), Stauffacherstrasse 60

3. November 2016, 18.15 Uhr, Altstätten, Restaurant Lindenhof, Oberrietstrasse 14

4. November, 18.00 Uhr, Olten, Hotel Olten, Bahnhofstrasse 5

7. November, 18.00 Uhr, Bern, Zentralsekretariat SEV, Steinerstrasse 35

Anmeldung (nicht obligatorisch) unter diesem Link.