Fragen an einen Genfer Arbeitsinspektor zur Überwachung von Arbeitnehmenden

Wo sind denn die Grenzen?

Arnaud Bousquet ist Arbeitsinspektor beim Arbeitsinspektorat des Kantons Genf (OCIRT).

Vorsicht vor Missbrauch bei Überwachungen!

Welche Rolle spielt das OCIRT bezüglich der Überwachung der Arbeitnehmenden? Erteilt es Bewilligungen oder spricht es Sanktionen aus?

Die Rolle des OCIRT wie jedes andern kantonalen Arbeitsinspektorats im Bereich der Überwachung ist es, dafür zu sorgen, dass der Artikel 26 der Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz (ArGV 3) respektiert wird (siehe Kasten auf Seite 12). In manchen Betrieben ist das ArG nicht anwendbar: in Verwaltungen von Bund, Kantonen und Gemeinden; in Betrieben, die der Bundesgesetzgebung über die Arbeit in Unternehmen des öffentlichen Verkehrs (AZG) unterstehen; in Landwirtschaft, Gartenbau und Fischerei sowie in Privathaushalten. Trotzdem sind die Vorschriften über den Gesundheitsschutz (Artikel 6 des ArG und Schutz der Mutterschaft) auch auf das Personal der Bundes-, Kantons- und Gemeindeverwaltungen anwendbar. Zur Erinnerung: Der Artikel  6 ist jener, der die Arbeitgeber zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmenden verpflichtet. Die Überwachung ist dabei Teil des Gesundheitsschutzes. In diesem Gebiet erteilen wir keine Bewilligungen. Es kommt gelegentlich vor, dass uns ein Arbeitgeber vor der Installation eines Überwachungssystems beizieht. In diesem Fall sagen wir ihm, ob das vorgesehene System gesetzeskonform ist oder nicht.

Die Sanktionen ergeben sich aus dem ArG. Zuwiderhandlungen sind strafbare Delikte, die im Fall, dass keine Einigung zwischen dem Inspektorat und dem Arbeitgeber erreicht wird, dem Staatsanwalt übergeben oder in schweren Fällen von Amtes wegen verfolgt werden können.

Haben Gesuche betreffend der Installation von Überwachungskameras in Genf in den letzten Jahren merklich zugenommen? Welche Sektoren sind betroffen?

Zu uns gelangen nur sehr wenige Gesuche. Meistens werden wir informiert, wenn sich Arbeitnehmende darüber beschweren, dass Überwachungssysteme installiert wurden oder dass der Arbeitgeber Bemerkungen über ihr Verhalten macht, obschon er gar nicht anwesend ist. Am meisten betroffen sind Sektoren, in denen es um hohe Werte geht (Banken, Uhrenindustrie), Gastronomiebetriebe (oft auf Anraten der Polizei) und allgemein der Handel.

Mit welchen anderen Entwicklungen sehen Sie sich konfrontiert? Vermutlich mit solchen technischer Art?

Die Preise sind in Bewegung: Man kann heute im Internet ein Überwachungssystem für rund 100 Franken kaufen. Wegen der sinkenden Kosten, aber auch dank der immer einfacheren Installation und Anwendung wird der Zugang zur Überwachungstechnologie immer einfacher. Diese wird auch immer raffinierter: die Bild- und Tonqualität wird immer besser und es gibt laufend neue Möglichkeiten der Fernüberwachung, des Zooms, der Miniaturisierung, in Verbindung mit dem Internet usw.

Geht die Überwachung von Seiten der Arbeitgeber manchmal zu weit?

Ich habe seit längerer Zeit nicht mehr von Kameras in Garderoben, Toiletten und Duschen gehört, was an sich eine gute Nachricht ist, aber nicht heisst, dass es sie nicht gibt. Jedenfalls sind mir keine gröberen Geschichten bekannt. Ich höre eher mal von Arbeitgebern, die versteckte Überwachungssysteme installieren, um dann während der Ferien auf einer entfernten Insel Bemerkungen an ihre Mitarbeitenden zu mailen.

Ich erhalte von meinem Arbeitgeber ein Tablet. Sollte ich die Geolokalisation ausschalten? Oder was riskiere ich? Dürfen Arbeitgeber den Mitarbeitenden nachstellen?

Ihr Arbeitgeber ist sehr grosszügig! Welcher Art das Überwachungssystem auch ist, um gesetzeskonform zu sein, muss er drei Bedingungen beachten: übergeordnetes Interesse (Gewährung Ihrer Sicherheit oder Verbesserung der Produktivität), Verhältnismässigkeit (gäbe es weniger einschneidende Massnahmen, die zum gleichen Resultat führen?), Information über die Nutzung der gesammelten Daten (Ziel der Überwachung, Datenschutz, Nutzungsreglement, Personen, die Zugang zu den Daten haben, Aufbewahrungsdauer der Daten, usw.). Wenn diese drei Bedingungen erfüllt sind, erfüllt das System die Voraussetzungen. Sie können also die Geolokalisation ohne weiteres ausschalten, wenn das Ziel der Überwachung nicht ist, zu wissen, wo Sie sich befinden, um Sie schneller über einen andern Kunden zu informieren. Man könnte sich vorstellen, dass der Zweck dieser IPads nur ist, das Sie Ihre E-Mails auf direktem Weg erhalten. Dann ist die Geolokalisation unnötig. Wenn die Geolokalisation zum Erreichen des Ziels nötig ist, muss sie im Reglement genau definiert werden: Werden Sie rund um die Uhr geolokalisiert, was missbräuchlich wäre, oder nur während der Arbeitszeit?

Ein sehr konkretes Beispiel: Man sieht mich auf den Aufzeichnungen einer Überwachungskamera am Bahnhof von Yverdon, obschon ich zu diesem Zeitpunkt laut Arbeitsplan in Lausanne sein müsste. Was passiert, wenn mein Chef das Video sieht? Hat er tatsächlich keinen Zugang?

Wenn das System die drei oben genannten Bedingungen erfüllt, kann das wirklich nicht passieren, weil niemand Zugang zum Überwachungssystem hat und dieses wahrscheinlich darauf ausgelegt ist, die Sicherheit der Menschen (Kund/innen und Angestellte) und des Bahnhofs zu verbessern. Trotzdem kann man Missbrauch nie ausschliessen, weshalb die Information des Personals und das Reglement unabdingbar sind.

Ich kommentiere auf Facebook das Fasnachtsbild einer Freundin, bin zu diesem Zeitpunkt aber an der Arbeit. Was riskiere ich?

Alles hängt von einem allfälligen betriebsinternen Reglement zur Nutzung des Internets ab. Beispiel 1: Das Internet am Arbeitsplatz ist gesperrt und die Benutzung persönlicher, portabler Geräte während der Arbeitszeit ist – Notfälle ausgenommen – untersagt. In diesem Fall riskieren Sie die Entlassung. Beispiel 2: Das Reglement besagt, dass Sie in «vernünftigen Grenzen» Zugang zum Internet haben – ausser auf illegale Seiten wie z. B. Nazi- oder Pädophilie-Seiten. In diesem Fall riskieren Sie eine Verwarnung, wenn Sie nachweisbar mehrere Stunden auf Facebook gewesen sind.

Es ist wichtig zu wissen, dass der Arbeitgeber bzw. sein Informatiker jederzeit feststellen kann, welche Seiten Sie wie lange besuchen. Im Reglement kann – und muss – er Sanktionen formulieren. Je klarer das Reglement formuliert ist, desto weniger Risiken bestehen bei einem möglichen Missbrauch.

Interview: Henriette Schaffter / pan.