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Pascal Fiscalini nimmt seine Chefin beim Wort: Das «Gesicht der SBB» darf nicht aus weiteren Zügen verschwinden

Die Gotthard-Bergstrecke muss begleitet bleiben!

kontakt.sev sprach mit Pascal Fiscalini, Vizepräsident des Unterverbands des Zugpersonals (ZPV), über den neuen Swisspass, die Neat-Eröffnung und die Bergstrecke am Gotthard, die Gewaltproblematik und weitere Themen, die das Zugpersonal und damit den SEV-ZPV zurzeit beschäftigen.

kontakt.sev: Wer ein Halbtax- oder Generalabo kauft oder erneuert, erhält seit
1. August den roten Swisspass. Dessen Kontrolle benötigt mehr Zeit: Braucht es somit mehr Zugpersonal?
Pascal Fiscalini: Laut SBB dauert seine Kontrolle dreimal länger. Also wäre eigentlich die logische Folge, dass man dreimal mehr Personal einstellen würde, wenn man die gleiche Qualität und den gleichen Service bieten wollte. Tatsache ist, dass deswegen keine einzige Person mehr angestellt wird. Die SBB setzt auf Qualität statt Quantität: Wir können weniger Leute kontrollieren, dafür soll die Qualität der Kontrolle steigen. Der Nachteil ist, dass wir weniger präsent sein werden.

Lässt sich dieser Nachteil durch Servicegänge ausgleichen, wie im SBB-Mitarbeitermagazin 5/2015 stand?
Das ist vom Service her auch nicht befriedigend: Wenn ich zum Beispiel im Zug Bern–Zürich bis Lenzburg Kontrollen mache und danach durch den Zug gehe, kommt wahrscheinlich eine Frage um die andere, sodass ich nie bei allen Passagieren vorbeikomme. Wenn ich aber so rasch durch den Zug gehe, dass niemand etwas fragen kann, ist dies kein richtiger Service. So hat man bei der Ankunft an der Destination stets das Gefühl, seine Arbeit nicht richtig erledigt zu haben: Man hat nicht alle Leute kontrolliert und sich nicht im ganzen Zug richtig gezeigt.

Welche Erfahrungen hast du mit dem Swisspass bisher sonst gemacht?
Bis 1. August war er nur selten anzutreffen, inzwischen (bis 13. August) sind es fünf bis zehn in einem mittelbesetzten Zug. Gewisse Pendler haben gereizt reagiert, weil sie den Swisspass nicht mehr in einem durchsichtigen Fach ihres Portemonnaies lassen können wie die bisherige blaue Karte und sie ihn uns geben müssen zum Scannen mit unserem Kontrollgerät. Und es stört sie, dass die ganze Kontrolle länger dauert – vor allem, wenn sie im Abteil zuletzt an der Reihe sind.

Was sagt der Unterverband des Zugpersonals ZPV dazu?
Wir befürchten, dass die Reisenden irgendwann merken, dass das Zugpersonal weniger Leute kontrollieren kann, und dass dann automatisch die Schwarzfahrer zunehmen – und damit auch die Diskussionen und Aggressionen.

Am 11. Dezember 2016 geht der Gotthard-Basistunnel in den fahrplanmässigen Betrieb: Will die SBB danach die Züge auf der Bergstrecke wirklich nicht mehr begleiten lassen?
Ja, der Fernverkehr SBB will die heutigen Interregio-Züge durch unbegleitete Regionalzugkompositionen ersetzen. Zwischen Bellinzona und Airolo gibt es heute statt Regionalzügen nur noch Busse, ebenso zwischen Erstfeld und Göschenen. Das Bundesamt für Verkehr wird voraussichtlich im September entscheiden, ob unbegleitete Züge im 15 Kilometer langen Tunnel zulässig sind. SEV und ZPV wollen vorher beim BAV vorsprechen, um ihm aufzuzeigen, dass eine Zweierbegleitung nötig ist, damit bei einem Vorfall im Tunnel der Zug sicher evakuiert werden kann.

Der SEV bekämpft die weitere Ausdehnung des kondukteurlosen Betriebs auch deshalb, weil die Abwesenheit von Personal zu einem Klima der Anonymität und Gesetzlosigkeit führt, das Übergriffen und Vandalismus Vorschub leistet. Will die SBB weitere Interregio-Linien in unbegleitete Regioexpress-Linien umwandeln, wie zum Beispiel 2013 den Rheintal-Express?
Bis 2017 sollen neben den bereits definierten Linien keine umgestellt werden. 2017 wird aber der Fernverkehr neu ausgeschrieben. Was damit auf uns zukommt, wissen wir nicht – auch wenn wir von der Konzernleitung immer wieder hören, wie wichtig das Zugpersonal als «Botschafter» oder «Gesicht» der SBB sei, wie es zum Beispiel Jeannine Pilloud im Juli in einem Interview mit der «SonntagsZeitung» gesagt hat (Box). Ich möchte von Frau Pilloud schon noch wissen, wie sie das gemeint hat, denn diese Äusserungen stehen im Widerspruch dazu, dass immer mehr Zugbegleiter von den Zügen genommen werden, wie dies nun auch am Gotthard geplant ist. Die Europäische Transportarbeiter-Föderation ETF ruft übrigens für den 29. Oktober zu einer gesamteuropäischen Flugblattaktion auf, um auf die Problematik des kondukteurlosen Betriebs aufmerksam zu machen. Daran wird sich der ZPV im Tessin sicher beteiligen.

Die Gewaltbereitschaft gewisser Kunden ist ein Dauerbrenner: Ist dieses Problem wirklich spürbar schlimmer geworden, seit du 1989 Zugbegleiter geworden bist?
Ja, es ist vor allem das Ausgangsvolk, das seit den 2000er-Jahren aggressiver geworden ist. Das Zugpersonal kann deshalb nicht mehr so arbeiten wie früher, sondern ist gut beraten, sich nicht auf Konfrontationen mit den Reisenden einzulassen und sich zurückzuziehen, wenn es brenzlig wird. Ich habe festgestellt, dass Kollegen, die nach wie vor versuchen, ihre Arbeit richtig zu machen und für Ordnung zu sorgen, automatisch mehr Probleme mit aggressiven Kunden haben und zum Dank von ihren Vorgesetzten den Vorwurf zu hören bekommen, sie würden selber Aggressionen provozieren. Es heisst dann: «Warum hast du so viele Aggressionen? Bist du vielleicht zu direkt? Vielleicht müsstest du anders arbeiten.» Kollegen mussten deshalb mit ihren Chefs sogar Vereinbarungen unterschreiben. Manche melden daher Aggressionen gar nicht mehr oder nur dem SEV. Oder sie haben sich damit abgefunden. Viele haben resigniert.

Wenn jemand physisch angegriffen wird, erhält er/sie aber schon Hilfe?
Der direkte Vorgesetzte nimmt dann schon mit einem Kontakt auf, und es gibt heute Stellen für die medizinische und psychologische Betreuung. Das hat sich in den letzten Jahren schon gebessert.

Welche Züge sind von der Gewalt vor allem betroffen?
Brandherde sind nach wie vor die Räume Genf, Lausanne und Zürich, besonders an den Wochenenden und bei Anlässen wie dem Paléo- oder dem Montreux-Jazz-Festival.

Tut die SBB genug, um Angriffen auf Personal und Kundschaft vorzubeugen?
Der kondukteurlose Betrieb im Regionalverkehr und in immer mehr Schnellzügen hat die Situation sicher nicht verbessert. Und der Personalbestand der Transportpolizei reicht bei weitem nicht, um alle Problemzüge abzudecken.

Ständen nicht auch der Bund und die Kantone als Besteller des Verkehrs in der Pflicht, mehr Geld für die Zugbegleitung zur Verfügung zu stellen?
Weil die Gewalt im öffentlichen Verkehr ein gesellschaftliches Problem ist, wären Bund und Kantone verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen. Wir vom SEV haben deswegen schon mehrfach den Kontakt mit Politiker/innen gesucht, aber mit mässigem Erfolg. Ich habe das Gefühl, dass die Politik ihre Verantwortung für die Sicherheit im öV oft an die Transportunternehmungen abschiebt.

Zurück zur Neat: Die beiden Basistunnel durch Gotthard und Ceneri (letzterer geht voraussichtlich im Dezember 2020 in Betrieb) verkürzen zusammen die Fahrzeit Zürich–Lugano um rund eine Stunde auf weniger als zwei Stunden. Braucht es künftig also weniger Zugpersonal?
Ab Dezember 2016 will der Fernverkehr gesamtschweizerisch 60 Stellen streichen. Ab 2020, wenn mit der Eröffnung des Ceneri-Tunnels zusätzliche Züge vorgesehen sind, sind wieder mehr Stellen geplant. Diese Zahlen sind ohne Begleitung der Gotthard-Bergstrecke kalkuliert.

Wie wirkt sich die Neat sonst auf das Zugpersonal aus? Und welche Depots sind betroffen?
Betroffen sind alle Fernverkehrsdepots auf der Nord–Süd-Achse, also Chiasso, Bellinzona, Luzern, Zürich, Olten und Basel. Vor allem im Tessin fallen 20 Prozent der Stellen weg, falls die Bergstrecke nicht begleitet wird. Wo die Betroffenen bis 2020 arbeiten könnten, ob etwa in der Stichkontrolle auf der Bergstrecke, ist noch unklar. Die verkürzten Fahrzeiten eröffnen dem Tessiner Zugpersonal andererseits neue Destinationen.

Welche weiteren Themen beschäftigen das Zugpersonal und den ZPV zurzeit?
Ein aktuelles Thema ist die Idee der SBB, uns von der Aufgabe des Rangierens auf der Strecke bei Störungen zu entbinden, da wir dies nur sehr selten tun müssen. Damit müssten wir nicht mehr alle fünf Jahre die entsprechende Prüfung gemäss VTE-Verordnung des BAV über das Führen von Triebfahrzeugen ablegen, und wir müssten auch weniger strenge medizinische Anforderungen erfüllen. Doch könnte dies unser Berufsbild abwerten. Ein weiteres Diskussionsthema ist das Projekt «Zugbegleitung 2016»: Es will dem Zugchef gewisse Führungsaufgaben übertragen, was dazu führen könnte, dass der Kondukteur zu seiner Hilfskraft abgewertet wird. Auch unsere neue Uniform, für die vor kurzem der Tragtest angelaufen ist, gibt viel zu reden: nicht nur bei uns, sondern auch sehr heftig in den Medien. Dies zeigt, dass das Zugpersonal in der Bevölkerung stark wahrgenommen wird und somit eine wichtige Rolle spielt.

Markus Fischer

BIO

Pascal Fiscalini wurde vor knapp 47 Jahren als Sohn einer Walliserin und eines Tessiners geboren. Weil seine Eltern miteinander meist Französisch sprachen, wuchs er in Ascona praktisch dreisprachig auf. Ab 16 Jahren machte er in Zermatt eine dreijährige Kochlehre und bald danach (1989–1990) bei der SBB in Brig die 15-monatige Kondukteurlehre. Bei der Bahn verdiente er sofort 800 Franken mehr als die 2000 Franken, die er als ausgelernter Koch mit einem 13- bis 15-stündigen Arbeitstag erhalten hatte. Als junger Vater schätzte er auch die kürzere, geregeltere Arbeitszeit und trat sehr schnell dem SEV bei: «Die Erfahrung als Koch zeigte mir, wie wichtig die Arbeit der Gewerkschaften ist.» Nach der SBB-Lehre arbeitete er drei Jahre in Biel, wechselte wieder nach Brig und 2011 nach Bellinzona, wo er bis heute als Zugchef im Fernverkehr arbeitet. Er wohnt mit seiner zweiten Frau, die aus Domodossola stammt und ebenfalls SBB-Zugbegleiterin ist, in Cresciano. Seine beiden Söhne aus erster Ehe sind inzwischen 27- und 22-jährig und wohnen im Wallis. Die Pflege der Familienkontakte ist für Pascal Fiscalini sehr wichtig. Sein Haupthobby ist die Gewerkschaft: Nachdem er schon im ZPV Brig Vizepräsident war und 2007–2009 ZPV-Koordinator West, ist er seit 2009 ZPV-Vizepräsident, Mitglied des Vorstands SEV und Mitglied der SBB-GAV-Konferenz. Weitere Hobbys: Reisen und Wandern.

Jeannine Pilloud: «Die Zugbegleiter werden mehr und mehr zum Gesicht der SBB»

Die Chefin des Personenverkehrs SBB unterstrich im Interview der «SonntagsZeitung» vom 12. Juli die Bedeutung des Zugpersonals:
«Als ich zu den SBB kam, hatten viele Zugbegleiter Angst, ich würde ihren Job abschaffen. Doch es ist genau umgekehrt. Die Zugbegleiter werden mehr und mehr zum Gesicht der SBB. Nicht nur dank des Swisspass. Die Anzahl Passagiere in den Zügen steigt stetig. Dadurch ereignet sich immer mehr, es gibt zum Beispiel mehr Störungen oder medizinische Notfälle. Und Reisende stellen deutlich mehr Fragen, weil die Zugbegleiter oft das einzige Gesicht der SBB sind, dem sie begegnen. Die meisten Passagiere lösen ihre Billette ja nicht am Schalter.»

Kommentare

  • Urs Fankhauser

    Urs Fankhauser 04/12/2015 12:32:12

    Hallo Markus
    Habe den Bericht gelesen und kann dazu nur den Kopf schütteln über das Vorgehen der SBB Planer oder wer da auch immer dahintersteckt. Spare und noch mehr sparen, aber auf Kosten der Sicherheit und der Arbeitsplätze. Es muss wohl zuerst ein schlimmes Ereignis geschehen im Zug bis sich vielleicht etwas ändert an der heutigen Sparpolitik. Die Gewaltbereitschaft in den Nachtzügen wird weiter zunehmen und die Schwarzfahrer auch. Der Swisspass ist auch nicht gerade kundenfreundlich und die längeren Kontrollen mühsam fürs Personal.
    Allzeit gute Fahrt trotz allem.
    Urs Fankhauser

  • Michel Piguet

    Michel Piguet 30/09/2016 12:13:47

    Diminutions des agents de train.
    Je ferai une première constatation: Dans le cas du besoin d'un renseignement sur les lignes secondaires, rien ou pas grand-chose a été fait pour renseigner le voyageur sur un problème.
    Avant de sortir le couteau pour couper dans le gras, la direction devrait aussi penser aux pansements pour les utilisateurs. C'est trop facile pour des directeurs surpayés de ne faire que la moitié du travail. Avant que tous les trains soient équipés d'internet, ou une console donnant les correspondances à venir, les renseignements donnés par les contrôleurs ne devraient pas être supprimés tant qu'un système de substitution gratuit le remplace, après, on peut penser que les utilisateurs même âgés ne sont pas tous des Mongoles. (j'ai 73 ans et avec une liaison internet gratuite et limitée, cela me suffirait.) Il y a aussi le problème de la sécurité des voyageurs, donc installer un système de surveillance par caméras interposées me semble indispensable, avec une alerte à la police en cas d'événements inappropriés. On peut facilement imaginer un train remplit de cadavre, s'arrêtant dans une gare, les bandits sortants et le train continue sans problème avec sa cargaison de macchabées.
    Une deuxième constatation: Des trains sans chef de train, cela existe depuis longtemps dans les métros, mais là, cela a été pensé dès le début et les quais sont faits pour! On peut constater que les métros où la circulation sans mécaniciens n'a pas été pensée, ils sont toujours là. (également dans les métros) À Lausanne, où cela a été pensé au niveau du projet, la non présence d'un mécanicien fonctionne très bien.

  • Michel Piguet

    Michel Piguet 30/09/2016 12:20:09

    complément à la remarque précédente:
    pour la ligne du haut du Gothard, il y a une obligation, desservir Andermatt et sa vallée ainsi que Aerolo. De ce fait, avec le système des sillons, on devrait avoir deux types de train, un de type régional normal et un type de train touristique avec accompagnement multilingue. On pourrait imaginer qu'un seul tunnel reste aux chemins de fer et que l'autre tube soit mis comme complément au tunnel de base routier.