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Urs Huber zu den Problemen und Verwerfungen bei SBB Infrastruktur

«Es ist zu befürchten, dass man in eine Hüst- und Hott-Politik zurückfällt»

Gewerkschaftssekretär Urs Huber, der beim SEV für SBB Infrastruktur zuständig ist, warnt vor kurzsichtigen Sparübungen und allfälligen erneuten Reorganisationen, nachdem die Division in den letzten Jahren bereits komplett umstrukturiert wurde.

Am 16. Februar 2013, kurz vor 1 Uhr 30, führte dieser Schienenbruch bei Schwerzenbach zur Entgleisung einer Nacht-S-Bahn. Die 125 Passagiere blieben unverletzt.

kontakt.sev: SBB Infrastruktur hat letztes Jahr u. a. wegen ungeplanten Mehrkosten im Unterhalt im Umfang von 129 Mio. Franken ein Defizit geschrieben. Aus dem gleichen Grund sind auch 2014 und in den nächsten Jahren weitere Defizite zu befürchten. Was sagst du dazu?

Urs Huber: Als Philippe Gauderon 2009 die Leitung der Infrastruktur übernahm, hat er die «Exzellenz 2014» propagiert. Davon ist heute leider keine Rede mehr, dafür aber von Sparübungen. Schadenfreude darüber ist fehl am Platz, wenn man sieht, wer den Schaden hat: Projekte und «nicht dringliche» Unterhaltsarbeiten werden auf später verschoben, und den Mitarbeitenden will man weitere kurzfristige Sparprogramme zumuten. Ich befürchte auch neue Reorganisationen. Die Leute, die täglich rund um die Uhr bei jedem Wetter hart arbeiten, haben dieses Finanzloch aber nicht verursacht. Es darf nicht sein, dass sie die Planungsfehler der Leitung ausbaden müssen. Auch, weil sich solch schwierige Situationen nur mit motivierten Mitarbeitenden meistern lassen.

Liesse sich das Problem nicht relativ einfach lösen durch mehr Geld?

Die Tragik der ganzen Geschichte ist in der Tat: Es gibt enorm viel zu tun, aber es fehlen dafür die nötigen Mittel. Für den Unterhalt braucht es wirklich mehr Geld. Das Problem ist, dass SBB Infrastruktur dieses Finanzloch innert eines Jahres im dümmsten Moment produziert hat: Beim Abschluss der Leistungsvereinbarung 2013 bis 2016 hat die SBB bereits mehr Geld gefordert und erhalten, und das Volk hat soeben über Fabi abgestimmt. Die Politik nun zu überzeugen, zusätzliche finanzielle Mittel zu sprechen, wird schwierig werden.

Wie beurteilst du die geplanten Sparmassnahmen?

Die Gefahr ist gross, dass es zu kurzfristigen Sparübungen kommt, die eben kurzsichtig sind und sich mittelfristig rächen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn man Gleise auswechselt, ohne gleichzeitig zu stopfen und zu schleifen. Das ist mittel- und langfristig enorm teuer, unproduktiv und wäre das pure Gegenteil von dem, was die heutige Leitung Infrastruktur ursprünglich machen wollte. Denn sie hatte genau solche Verhaltensweisen als Problem analysiert und wollte dies verbessern.

Es droht also ein Rückfall in vergangen geglaubte Zeiten?

Es ist zu befürchten, dass man wieder in eine Hüst- und Hott-Politik zurückfällt wie früher auch schon, als man im Herbst die Baustellen stoppen musste, weil man merkte, dass das Geld ausging. Oder es heisst zuerst, dass etwas unbedingt gemacht werden müsse, und dann steht man wieder auf die Bremse und nimmt Projekte zurück, die eigentlich aufgegleist sind. Das passiert jetzt gerade auch: Zum Beispiel ist bekannt, dass Aufträge von Anlagen und Technologie (I-AT) massiv gekürzt worden sind. Eine solche Politik ist für die betroffenen Mitarbeitenden höchst frustrierend. Man erwartet von den Leuten, dass sie jederzeit einsatzbereit sind. Es gibt sehr viele, die Pikett leisten. Gearbeitet wird häufig in der Nacht und an Wochenenden. Da ist es das absolute Minimum, dass man erwarten kann, dass langfristig und gut geplant wird. Darum haben wir vom SEV den von Philippe Gauderon und Christoph Stoeri, Leiter Instandhaltung, propagierten Ansatz einer besseren Planung unterstützt. Auch weil wir überzeugt waren, dass gute Planung für die Mitarbeitenden eine bessere Arbeits- und Lebensqualität bedeutet. Ob die proklamierte bessere Planung aber wirklich immer besser gewesen ist, muss nun bezweifelt werden.

Ist mit neuen Reorganisationen zu rechnen?

Wir hätten grosse Mühe damit, wenn man jetzt, nachdem man in der Infrastruktur in den letzten Jahren alles umgestochen hat, wieder damit anfangen würde. Es muss einfach irgendwann einmal aufhören, dass man alle drei bis vier Jahre eine Reorganisation macht. Jede Reorganisation muss gut überlegt sein, weil sie stets auch Reorganisationsverluste mit sich bringt durch Unruhe (Leute werden verschoben und müssen sich neu finden), Verlust von Wissen durch Abgänge von Know-how-Trägern usw. Und wenn schon reorganisiert werden soll, ist diesmal zu erwarten, dass die Know-how-Träger in der Fläche, zum Beispiel die Teamleiter, Ausführungsprojektleiter usw., die den Karren ziehen, involviert, angehört und wirklich gehört werden!

Ist dies bei den letzten Reorganisationen nicht der Fall gewesen?

Wir hatten den Eindruck, dass eigentlich richtige Ansätze vorhanden gewesen sind. Aber offenbar ist trotzdem etwas nicht gut gelaufen. Sicher ist: Ständige Reorganisationen frustrieren die Mitarbeitenden. Sie wollen vor allem eines: effizient arbeiten, und nichts ärgert sie mehr als Leerläufe und nutzlose Bürokratie, auch wenn diese dann halt «Prozesse» heissen. Weil die Infrastruktur im Konzern unter enormem Druck steht, besteht zudem die Gefahr, dass die Division nur noch für ihre eigenen Interessen schaut und so die Gesamtsicht aus den Augen verliert. Es gibt Äusserungen und Projekte, die dies befürchten lassen.

Immerhin scheint die Leitung Infrastruktur zurzeit keine Stellen streichen zu wollen?

Dies wäre auch völlig falsch angesichts der anstehenden Arbeit und der bevorstehenden Abgänge grosser Jahrgänge mit viel Erfahrung. Know-how-Träger müssen im Unternehmen behalten werden! Doch auch eine verzögerte Wiederbesetzung vakanter Stellen ist problematisch, u. a. weil damit keine Know-how-Übergabe von den bisherigen auf die neuen Mitarbeitenden möglich ist. Und wie gesagt: Arbeit gibt es genug!

Interview: Markus Fischer