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Anstieg der Gewalt gegen Zugpersonal und Reisende in den SBB-Zügen

SEV will bereinigte Zahlen sehen

Zwischen 2007 und 2010 sank die Zahl der Übergriffe gegen Zugpersonal von 230 auf 150, doch 2011 stieg sie wieder auf 170 – und dieser Aufwärtstrend hält 2012 an. Auch bei der Gewalt gegen Reisende.

In der «SBB-Zeitung» vom 11. Juli machte der Präsident der SBB-Personalkommission Konzern, Marcel Ruoss, publik, dass in den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres die Gewalt gegen Personal und Reisende in den SBB-Zügen alarmierend zugenommen hat. Er fand im SBB-Intranet Zahlen mit Stand 1. Juni, die ihn «vom Hocker hauten», als er sie auf 12 Monate hochrechnete. Denn so kam er für die verschiedenen Übergriffskategorien im Vergleich zum Jahr 2011 auf folgende Zunahmewerte:

  • 20 Prozent mehr Gewalt gegen Personal (97 tätliche Angriffe bis 1. Juni);
  • rund 20 Prozent mehr Drohungen gegen Personal;
  • 93 Prozent (!) mehr Gewalt gegen Reisende (99 tätliche Angriffe – laut Ruoss ist es das erste Mal, dass diese in einer Vergleichsperiode zahlreicher sind als die Angriffe gegen Personal);
  • 80 Prozent mehr sexuelle Übergriffe;
  • 60 Prozent mehr Diebstähle bei Reisenden.

Setzt SBB falsche Prioritäten?

«Ernsthafte Reaktionen des Managements sind uns von der Peko nicht bekannt», schreibt Marcel Ruoss weiter. «Die SBB lanciert eine grossartige Wohlfühl-Werbekampagne, aber die Sicherheit von Personal und Kunden wird offenbar sträflich vernachlässigt. Da scheinen die Prioritäten falsch gesetzt. Denn die physische und psychische Unversehrtheit sind das höchste Gut.» Das Management müsse die Gewaltzunahme ernst nehmen, professionell reagieren und die bestehenden Massnahmen wirkungsvoll ergänzen.

«Ich fordere die Leitung Sicherheit der SBB auf, der Peko nach der Sommerpause die eingeleiteten Schritte und Massnahmen aufzuzeigen», bekräftigte Marcel Ruoss gegenüber kontakt.sev.

SBB beruhigt und relativiert

«Die Zunahme der Vorfälle nehmen wir sehr ernst», antwortet der Leiter öffentliche Sicherheit der SBB, Simon Jungo, in derselben «SBB-Zeitung ». Doch seien diese Vorfälle «zur Zahl der beförderten Personen ins Verhältnis zu setzen. Man verstehe mich richtig: Jeder Vorfall ist einer zu viel. Mithilfe unseres Sicherheitskonzepts tun wir alles, um solche zu vermeiden – mit Prävention (vorbeugen), mit Dissuasion (abhalten, etwa durch uniformierte Präsenz oder Videoüberwachung) und mit Repression (eingreifen, etwa Straftaten konsequent verfolgen). Insgesamt sage ich mit Überzeugung: Unsere Züge und Bahnhöfe sind sicher. […] Zwar wird es 100-prozentige Sicherheit nie geben. Ziehen wir aber alle am selben Strick, dann werden wir weiterhin Sicherheit auf hohem Niveau garantieren können.»

Die Zahlen relativiert auch SBB-Sprecher Reto Schärli im «Tages-Anzeiger» (und «Bund») vom 21. Juli: Die 170 Übergriffe auf Zugpersonal und 122 auf Reisende in SBB-Zügen im Jahr 2011 seien insgesamt wenig, wenn man bedenke, dass mit der SBB täglich rund eine Million Menschen unterwegs seien.

Gewalt steigt seit 2011 wieder

Gefragt nach der Gewaltentwicklung bestätigt der SBBSprecher im «Tages-Anzeiger » aber: «2011 hat der Trend gekehrt.» Und: «Die Zahl der Übergriffe auf Kunden und auf Zugbegleiter ist 2012 erneut steigend.» Doch genaue Zahlen seien nur per Kalenderjahr erhältlich.

Die von Marcel Ruoss gefundenen Zahlen relativiert Schärli zudem in der «Berner Zeitung» vom 20. Juli als «nicht qualitätsbereinigt»: Es könne sein, dass darin «Fälle falsch erfasst worden seien».

Für SEV-Vizepräsident Manuel Avallone ist klar, dass die SBB zur Gewaltentwicklung raschmöglichst mit bereinigten Zahlen Transparenz schaffen muss. «Denn Geheimniskrämerei ist Gift für das Sicherheitsgefühl von Reisenden und Personal!»

Fi